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Verlass die Stadt - pp 35-36

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Kennt ihr das Wiener AKH? Wer schon einmal in Wien war, kennt das AKH. Das Allgemeine Krankenhaus kennt jeder, weil man es von allen Hügeln aus sieht, weil man dessen eckige graue Türme auch sieht, wenn man sich kilometerweit davon entfernt befindet, vermutlich sogar von Floridsdorf aus oder von Favoriten.
Aber wusstet ihr, dass das Wiener AKH neben dem Chris Hani Baragwanath Hospital in Johannesburg als das größte Krankenhaus der Welt gilt? Dass es sich über eine Grundstücksfläche von 240.000 Quadratmetern erstreckt? Dass es über 2000 Betten hat? Dass hier ungefähr 9000 Menschen beschäftigt sind? Das AKH, das sich zwischen Gürtel und Spitalgasse breit macht, prägt die Stadt, und es wäre nur logisch, wenn es einmal zum Wahrzeichen Wiens erklärt werden würde. Es könnte Stephansdom und Riesenrad eines Tages ihres Amtes entheben, so ungeheuer ist seine Präsenz. Aber eines darf man nicht vergessen: Das AKH ist furchtbar hässlich, und nicht nur das, es ist beängstigend. Vor allem abends, oder nachts, wenn das Licht durch die Fenster leuchtet, aber nicht aus allen, sodass die zwei Türme aussehen, als würden sie grinsen, als würden sie uns eine Grimasse schneiden, als würden ihm einige Zähne fehlen, diesem Monster Allgemeines Krankenhaus.

Wenn man nachts eingeliefert wird, zum Beispiel mit einer Alkoholvergiftung, sieht man diese Fratze aber gar nicht. Da hat man andere Ängst und Sorgen, etwa, ob sie einem tatsächlich einen Beißring in den Mund stecken werden, um anschließend einen Gummischlauch durch den Hals in den Magen zu rammen und ob sie durch diesen Schlauch tatsächlich Flüssigkeit gießen werden, die man umgehend herauskotzen möchte, aber nicht kann, weil einem ja ein Schlauch im Hals steckt, und wisst ihr was: Das tun sie. Das tun sie alles.

Wer das AKH etwas näher kennt, weiß, dass sich hier niemals ein Mensch zurechtfinden kann, so viele Gebäude und Trakte und Zimmer hat es. Ohne sich anzustrengen, kann man verloren gehen in seinen zahllosen Gängen. Froh kann man sein, wenn man gleich wieder entlassen wird aus diesem Krankenhaus, und das gilt vielleicht für jedes Krankenhaus, wahrscheinlich auch für das Chris Hani Baragwanath Hospital, aber wer weiß das schon; ich weiß es nicht.
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Near fragment in time

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Sie hatten bereits die Taschen des Toten durchsucht und dabei einen ungarischen Reisepass, einen in Budapest ausgestellten Führerschein, zwei Schlüsselbunde, einen Schlüssel der in der Wollzeile befindlichen Pension Treidler und eine Brieftasche gefunden.
pp 10 from Blutreigen Ein Fall für Trautmann by Ernst Hinterberger

Near fragment in space

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Anna war kaum länger als eine halbe Stunde in der Tierklinik gewesen, doch die Welt draußen hatte sich vollkommen verändert. Ein heftiger Sturm zerrte an den hohen Bäumen, und kaum saß Anna im Auto, ging ein heftiger Platzregen nieder. Die engen Straßen waren übersät von herabgefallenen Ästen, sie fuhr im Schritttempo, das Wasser schoss an ihr vorbei, und die Scheibenwischer richteten rein gar nichts mehr aus gegen die Regenmassen, die sich über ihre Windschutzscheibe ergossen. Das Währinger Cottage hatte plötzlich nichts mehr vom lieblichen Vorstadt-Villenviertel, in dem Anna an ihren freien Abenden so gerne spazieren ging und sich in die Leben der einst berühmten Bewohner träumte. Plastiksäcke wirbelten durch die Gegend, eine umgestürzte Mülltonne kullerte am Straßenrand hin und her, vom Haus neben ihr waren bereits einige Dachziegel in den Vorgarten gestürzt. Die Gentzgasse glich einem reißenden Fluss, ein Auto hatte es aus einer Parklücke gespült, es stand quer auf der Fahrbahn. Ein paar Passanten standen fast bis zu den Knien im Wasser, das wie ein brauner Gebirgsbach die leicht abfallende Straße entlangschoss. Anna lenkte ihr Fahrzeug an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Nach etwa zehn Minuten wurde der Regen schwächer, und mehrere Leute kamen aus ihren Häusern, um die überschwemmte Straße zu fotografieren. Anna überlegte, ob sie das Weiterfahren riskieren konnte, als ihr Handy klingelte. Harald. »Hallo. Bist noch im Dienst?« »Nein, eigentlich schon fast zu Hause, aber ich sitz hier im Weltuntergang fest.« »Um Gottes willen, bist du draußen?« »Ja, aber mach dir keine Sorgen. Ich bin im Auto. Es hört eh bald auf.« »Das ist Irrsinn. Klimakatastrophe! Das Eisgeschäft und der Buchladen sind überschwemmt. Die Martinstraße ein brauner Fluss. Wo bist du denn?« »Ecke Cottagegasse Gentzgasse. Hier wird’s schon besser, ich glaub, ich fahr bald weiter.« »Schon was vor heute?« »Nicht direkt. Mal sehen, wie es dem Kind geht, und ein bisschen nachdenken über meinen toten Winzer.« »Das Kind ist groß, und nachdenken kannst auch bei mir. Ich hab zwei wunderbare Schnitzerl vom Mangalicaschwein gekauft. Viel zu schade, die allein zu essen. Einen guten Wein gibt’s auch, zwar keinen Bachmüller, aber auch nicht schlecht.« »Klingt gut. Ich geh mal schnell nach Hause und schau, was Florian vorhat. Und dann schwimm ich rüber. Stunde?« »Wunderbar. Ich deck schon mal den Tisch und dekantiere den Wein.«
»Okay, bis später, du Snob.« Langsam fuhr Anna die Gentzgasse runter, und der Regen hörte so plötzlich auf, wie er angefangen hatte. Als sie in der Nähe der Wohnung einen Parkplatz fand, war der Wasserstand noch immer beträchtlich, das Wasser schoss allerdings nicht mehr in der Geschwindigkeit dahin wie noch vor ein paar Minuten. Anna zog ihre Schuhe aus und krempelte die Hosen hoch. In der Kutschkergasse traf sie auf den verzweifelten Signor Rocco, der versuchte, sein Eisgeschäft trockenzulegen. Auch im Friseurladen daneben war der frischrenovierte Parkettboden von Wasser bedeckt. Anna war heilfroh, dass sich ihre Wohnung im zweiten Stock befand, und als sie den Flur betrat, stellte sie fest, dass das Gewitter keinerlei Abkühlung bewirkt hatte.
pp 245-247 from Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien by Petra Hartlieb, Claus-Ulrich Bielefeld