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Verlass die Stadt - pp 76-77

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Zum Ärger der Auto fahrenden Wienerinnen und Wiener und zum Ärger aller, die die Straßenbahnlinien 1, 2 und D (früher den J-Wagen, aber es gibt ihn nicht mehr) nutzen wollen, finden Protestzüge in Wien meist auf der Ringstraße statt. Manchmal sogar mehrmals die Woche. Hier wurde schon aus den verschiedensten Gründen im Kreis marschiert, unter anderem und nur zum Beispiel:

Gegen Studiengebühren,
für höhere Milchpreise,
gegen den Bau von Moscheen,
für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften,
gegen die schwarz-blaue Koalition,
für ein autofreies Wien,
gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf,
für die Rechte von Vätern,
gegen des Patriarchat,
und immer noch,
fast jedes Jahr:
Gegen den Opernball.

Das Gefühl, dass man diese wichtigste Straße Wiens einfach blockieren kann, den Verkehr für ein paar Stunden zum Stehen bringen kann, das Gefühl, dass das jemand bemerkt, wenn man mit tausenden von Menschen auf diese berühmteste aller Wiener Straßen geht, das kann man erhebend, man kann es berührend finden; es kann einem ein wenig warm ums Herz werden.
Bei einer Demo werden alle gebraucht, die das Gleiche wollen oder etwas Ähnliches, man kann sich einfach einreihen und mitmachen, man muss nicht einmal mit jemandem reden. Man kann in der Mitte des Zuges gehen, oder am Rand, wenn einem die Mitte gefährlich erscheint, aber bei aller Angst, die man haben kann in dieser Stadt, ist hier, inmitten skandierender Massen, wahrscheinlich der sicherste Ort; zumindest, wenn diese gegen Homophobie oder eine rechte Regierung angehen. (Die Polizei sieht das offenbar anders.)
Man muss auch nicht mitbrüllen: Widerstand, Widerstand, man muss nur die Ringstraße entlang spazieren und dann bei der Schlusskundgebung am Ballhausplatz zuhören und klatschen. Das ist alles, was man tun muss. Mehr wird nicht von einem verlangt.

Eine Zeitlang war ich häufig demonstrieren, fast jeden Donnerstag, es war in einem kalten Winter. Vielleicht hat es auf Staatsebene nichts bewirkt.
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  Ringstraße

Near fragment in time

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Das Display war mit Asche und Holzstaub bedeckt. Es zeigte den Wiener Türkenschanzpark im Frühling letzten Jahres, die Zweige der Bäume waren mit winzigen weißen und rosa Blüten überzogen.
pp 51 from Satus Katze by Constantin Göttfert

Near fragment in space

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Eine Strategie! Ja, dachte Breuer auf dem Heimweg im Fiaker, es wurde höchste Zeit, dass auch er sich eine Strategie überlegte. So sehr war er damit beschäftigt gewesen, Nietzsche in die Falle zu locken, dass er bislang keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie er den Fang zähmen sollte, der nun auf Zimmer 13 der Lauzon-Klinik festsaß. Während der Fiaker schwankte und holperte, wandte sich Breuer also strategischen Überlegungen zu. Ein schöner Schlamassel; Anhaltspunkte gab es keine, geschweige denn Schulfälle. Er müsste eine vollkommen neue Behandlungsmethode erfinden. Am besten, er besprach die ganze Sache mit Freud; der begrüßte jede solche Herausforderung. Breuer bat Fischmann, am Spital anzuhalten und Doktor Freud ausfindig zu machen.
Das Wiener Allgemeine Krankenhaus, in dem Freud als Aspirant klinische Erfahrung für die spätere eigene Praxis sammelte, glich einer Stadt in der Stadt: In einem Dutzend Gebäudekarrees mit jeweils geschlossenem Hof, von welchen jedes eine eigene Abteilung beherbergte und welche alle durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge miteinander in Verbindung standen, waren zweitausend Patienten untergebracht. Eine vier Meter hohe Mauer riegelte die Außenwelt ab.
Fischmann, mit den verschlungenen Wegen bestens vertraut, eilte von dannen, um Freud von seiner Abteilung zu holen. Minuten später schon kehrte er allein zurück. »Doktor Freud ist nicht im Hause. Doktor Hauser sagte mir, er wäre vor einer Stunde in sein Stammlokal gegangen.«
Das von Freud frequentierte Kaffeehaus, das Café Landtmann am Franzensring, lag nur wenige Straßenzüge entfernt, und dort traf Breuer seinen Freund auch an. Er saß allein vor einem Braunen und studierte ein französisches Literaturjournal. Im Café Landtmann verkehrten vorwiegend Ärzte, klinische Aspiranten und Medizinstudenten. Obschon weniger exklusiv als Breuers Stammcafé Griensteidl, abonnierte das Landtmann über achtzig Zeitungen und Zeitschriften, mehr vielleicht als jedes andere Wiener Kaffeehaus.
»Sigmund, lassen Sie uns auf eine Leckerei zu Demel gehen. Ich habe Neuigkeiten über den Migräne-Professor.«
Im Nu war Freud aufbruchsbereit. Er schwärmte leidenschaftlich für die illustre Wiener Hofzuckerbäckerei, konnte sich einen Besuch jedoch nur dann leisten, wenn er eingeladen wurde. Zehn Minuten darauf saßen sie an einem ruhigen Ecktisch. Breuer bestellte zwei Braune, ein Stück Schokoladenkuchen für sich selbst und für Freud Zitronencremetorte mit Schlag, welche dieser so gierig verschlang, dass Breuer seinen jungen Freund drängte, sich vom silbernen Kuchenwagen ein zweites Stück auszuwählen. [...] »Aber ja!« Breuer war begeistert. »Eine bedeutsame Einsicht!« Er ließ ein paar Kupferkreuzer auf dem Tisch liegen, und dann schlenderten er und Freud hinaus auf den Michaelerplatz. »Wenn mein Patient diesen anderen Teil in sein Ich aufnehmen könnte, wäre viel gewonnen. Wenn er einzusehen vermöchte, wie natürlich es ist, Trost von seinen Mitmenschen zu erhoffen, das genügte schon!«
Sie gingen den Kohlmarkt hinab und trennten sich dann im Gedränge am Graben. Freud schlug den Weg durch die Naglergasse zum Krankenhaus ein, Breuer schlenderte über den Stephansplatz Richtung Bäckerstraße. Die Nummer 7 lag schräg hinter den hochaufragenden romanischen Türmen des Westwerkes des Stephansdoms.
pp 217-226 from Und Nietzsche weinte by Irvin D. Yalom