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Gegen einsam - pp 71-72

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Im Innenhof des Alten AKH setze ich mich auf eine Parkbank. Ziehe meine Zeitung unter dem Arm hervor. Neben mir ein älterer Herr mit Krückstock und Brille. Ich spreche ihn an. Teile ihm mit, dass ich nur den Immobilienteil lese, und biete ihm den Rest an. Er nimmt ihn. Lächelt. Die Brille rutscht ihm von der Nase. Er bückt sich danach. Beginnt zu lachen. Die Sonne strahlt durch die Baumwipfel. Tauben spazieren über die Rasenfläche. Bewegen ihre Köpfe beim Gehen rückartig vor und zurück. Picken zwischen die Grashalme, die grün sind und saftig. Umrunden die Sitzbänke auf der Suche nach Essensresten. Haussperlinge gesellen sich zu ihnen. Ein kleiner Junge rennt schreiend in ihre Mitte. Fuchtelt mit den Armen. Die Vögel fliegen auf. Er gluckst. Klatscht in seine Babyspeckhändchen. Die Atmosphäre dieses Tages, die Stimmung ist ansteckend.
  Gegen einsam
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Near fragment in time

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Um zwölf Uhr trafen wir uns auf dem Rathausplatz. Sie sah besser aus als zuvor. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. Ich bot ihr an, sie zum Essen einzuladen. Sie lehnte ab, sagte, dass sie spazieren gehen wolle. Wir gingen in den Park. Die Baumkronen über uns waren mit Lichterketten in Herzform geschmückt und ich wurde rot. Sie blieb stehen. Sah mich an.
pp 25 from Gegen einsam by Daniela Meisel

Near fragment in space

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Der Gedanke, nach diesem unfruchtbaren und auf lächerliche Weise demütigenden Gespräch gleich wieder den Anblick der Twarochschen Akten erdulden zu müssen, zwang seine Schritte geradezu in die demonstrativ entgegengesetzte Richtung, die Lange Gasse hinunter und dann rechts in die Universitätsstraße hinein. Das Allgemeine Krankenhaus, niedrig und langgestreckt, schräg gegenüber einer Kirchenfront mit zwei grünen Barockzwiebeln – in Tuzzi stiegen Kindheitserinnerungen auf: das war die Alserkirche, in der seine Mutter den heiligen Antonius zu verehren pflegte. Er war seither, mehr als drei Jahrzehnte lang, wie er berechnete, nicht hierhergekommen, aber noch während er das kalkullierte, führten ihn seine Füße auf den längst bergessen geglabten Kindheitsweg neben dem Hauptportal in den Gang hinein, an dessen Ende die Antoniuskapelle im Licht vieler kleiner Kerzen schimmerte. Es herrschte geräuschloses, aber emsiges Gebetstreiben, denn die Kapelle war überrarschend gut besucht. Tuzzi sah gebeugte Knie, andächtig geschlagene Kreuzzeichen und unhörbare Gebete mumelnde Lippen. Diese Begegnung mit einer bescheidenen Frömmigkeit rührte ihn, und er versuchte ernsthaft, sich das Gesicht seiner Mutter in Erinnerung zu rufen, wie sie, nach ihren heroischen Ohrfeigenverleihungen, hier gekniet und in gesammelter Andacht auch die Lippen bewegt hatte. Aber es gelang ihm nicht, und das Erinnerungsbild zerann, kaum daß es in seinem inneren Auge halbwegs Kontur angenommen hatte, im flackernden Kerzenschein. Und die gipserne Statue des heiligen Antonius hatte leider eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einem zazarenisch veredelten Ministerialrat Dr. Twaroch. Tuzzi schlenderte, nicht erleichtert, durch den anschließenden Kreuzgang, dessen Wände von einer langen und offenbar bisweilen erfolgreichen Heiligenverehrung zeugten, denn einige Wände waren dicht bekleidet mit gleichförmigen Marmortafeln, steinernen Beglaubigungen gnädiger Heiligenhilfe. Die meisten stammten noch aus den Zeiten der Monarchie und sagten ihren Dank in vielen Sprachen: Dzienkuje, sv. Antonius, Grazie, San Antonio, Danke, heiliger Antonius, vielen Dank und hilf weiter, Köszenem szépen, Szent Antal. Es gab aber auch Tausende Inschriften jüngeren und jüngeren Datums, an weiße Mauerteile mit Bleistift und Kuli, auch mit Lippenstiften hingekritzelte Stoßgebete aus großer Leib- und Seelenbedrängnis. „Heiliger Antonius, bitte hilf mir, laß mich nicht mit meinem Kind stehn, führe ihn zur Einsicht, ich halte es so nicht mehr aus“, stand da und „L. H. Antonius, hilf mir doch zu einem Baby!“ und kaum eine Spanne weiter in anderer Schrift: „Heiliger Antonius, gib, daß ich kein Kind krieg'!“ Die Nähe des großen Krankenhauses und des Landesgerichtes machten sich in vielen Hilferufen geltend: „Hilf mir, ich ertrage den Schmerz nicht länger“ und „Bitte, schütze mich in meinem Prozes daß ich nicht schuldig gesprochen werden, bitte filmals“.
pp 148-149 from Die große Hitze, oder die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi by Jörg Mauthe