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Verlass die Stadt - pp 131

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Ich wollte das Wien aus dem Buch [Ingeborg Bachmann: Malina] entdecken, erforschen und untersuchen; die Schauplätze und Handlungsräume in Karten einzeichnen; die Stadt, die Orte zeigen, wo das stattfindet, wo alles spielt;
Es ließ sich nichts finden.

Vielleicht hat sich alles so sehr verändert seitdem.
Vielleicht haben mich die Namen in die Irre gehen lassen. An den Orten spielt ja nichts. Es werden nur schöne Namen genannt.
Mit Sicherheit kann ich sagen, dass es an der Alten Donau nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich weiß jetzt: In Kagran steht Wiens größtes Einkaufszentrum und eine Menge Plattenbauten.
Wie wir schon lange wissen, braucht man in den Stadtpark, in die Beatrixgasse, in die Ungargasse, nicht zu fahren. Hier duftet es nicht nach Märchenzeit; man riecht nichts, man spürt nichts.

Nachdem ich das alles wusste, habe ich die Suche aufgegeben. Ich habe die Arbeit abgebrochen. Es hat mich nicht mehr interessiert. Mich hat das Buch nicht mehr interessiert. Mich hat diese Stadt nicht mehr interessiert. Ich spielte darin keine Rolle mehr. Ich kam darin nicht mehr vor.
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Wer in Wien ins Kaffeehaus geht, der geht heim. Ich habe zwar daheim kein Kaffeehaus als Zuhause, aber im Kaffeehaus bin ich selbstverständlich daheim. Wenn wir unser Kaffeehaus betreten, sind wir im Selbstverständlichen eingewohnt. Das Café Bräunerhof ist ein Ort, im welchem die Zeit aufbewahrt wird. Es ist alles wie immer. Echter Marmor, stabile Tische, Plüsch, Zeitungen, Ober im Smoking, das Glas Wasser zum Kaffee, und in der Mitte des Etablissements befindet sich jene Vorrichtung, in der die Zeit gestapelt, gepackt und schließlich vernichtet wird. Allerlei Leute wohnen im Bräunerhof. Sie sitzen, nachdem sie erschienen sind, um die Tische, lesen Zeitung, essen süßes Zeug, das in Wien so bitterlich herrlich schmeckt, nippen an den diversen Kaffeearten, großer Brauner, Melange, Einspänner, Kapuziner, Schale Gold, Mokka, Verlängerter, also sieben Kaffees, bis die Schalen leer sind.
pp 175 from Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden by Robert Schindel

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"Also dann", meinte Schäfer und rieb sich die Hände, während er neben dem Drucker wartete, "auf in die Donaustadt."
Ein Hochhaus in Kaisermühlen, Betonbrutalität, dachte Schäfer und lief zur Haustür, aus der eben eine alte Frau kam. Mit dem Lift gelangten sie in den elften Stock. Dreimal läuteten sie, klopften heftig gegen die Tür und forderten die in der Wohnung An- oder Abwesenden auf, ihnen zu öffnen. Während Leitner das Ohr an die Tür presste, setzte sich Schäfer auf die Stiegen und rief eine der Mitbewohnerinnen an, die sich sofort meldete. Er erklärte ihr, dass sie umgehend mit Kanika sprechen müssten. Nein, sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen; es ginge um eine wichtige Auskunft, möglicherweise sei sie auch in Gefahr. Worauf die Mitbewohnerin ihr misstrauisches Zögern ablegte und besorgt meinte, dass sie Kanika schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen habe. Sie habe nur einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass sie mit einem Freund auf Urlaub fahre. Und da sie ihre letzte Semesterprüfung bereits absolviert hatte, sei sie zwar verwundert über die spontane Entscheidung gewesen, habe sich aber dann keine weiteren Gedanken gemacht.
pp 128 from Der bessere Mensch by Georg Haderer