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Madensky Square - pp 23

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The first tourists are beginning to arrive. Poor things, you see them trailing round the Kunsthistorisches Museum behind their guides or rushing in and out of Birth Houses and Death Houses or houses where Beethoven is supposed to have poured buckets of water over himself.
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Near fragment in time

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Warum erzählte Leo dies alles so ausführlich, als er acht Tage später, eben erst wieder von seiner Verkühlung genesen, Judith im Café Landtmann traf? Judith wirkte unkonzentriert und ungeduldig, sie saßen in einer Fensterloge, und Judith blickte immer wieder durch die Glasscheibe hinaus auf die Ringstraße oder an Leo vorbei durch den Raum des Lokals, als suche sie den Kellner um zahlen zu können und sofort zu gehen.[...] Leo wandte den Blick vom schwarzen Smoking des Kellners hin zum Fenster, hinter dem er im ganzen nichts als eine ungeheure Rennerei sah, die Menschen fegten nur so durch die Ringstraße, wie Rudel von schwarzen Schatten liefen sie in der anbrechenden Dunkelheit vor dem Kaffeehausfenster vorbei, Autogehupe war zu hören, und - waren das Schüsse?[...] Vor dem Café nahm Leo erschrocken Judith an der Hand, ein wollener Fäustling in einem klobigen pelzgefütterten handschu, eine klumpige Empfindung ohne das klare Gefühl einer Berührung, der Platz zwischen dem Café und dem Burgtheater und die Ringstraße waren voll von Menschen, tausende von menschen, alles war in einer unerhörten Bewegung, Gerenne, Geschiebe, der Fäustling schlüpfte aus der pelzigen klammer des Handschuhs, dort hinüber! rief Judith, Leo lief ihr nach[...]. Leo lief mit eingezogenem Kopf seitlich weg, da explodierten Knallkörper und Böller , er wollte in die Nebenfahrbahn der Ringstraße ausweichen[...]. Er drückte sich an die Hauswand, es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, Lehr-frei-heit! Lehr-frei-heit!, wo war Judith? Leo stürmte wieder los, in die Richtung, in die Judith vorhin gelaufen war, was war das?[...] Plötzlich befand er sich an den Stufen des Burgtheaters, er lief hinauf, versteckte sich halb hinter einer Säule und sah von dieser Position das ganze Gewimmel.
pp 40-46 from Selige Zeiten, brüchige Welt by Robert Menasse

Near fragment in space

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Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by Vea Kaiser