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Holzfällen - pp 8-11

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Zwanzig Jahre bin ich den Eheleuten Auersberg aus dem Weg gegangen, zwanzig Jahre habe ich sie nicht ein einziges Mal getroffen und ausgerechnet jetzt habe ich ihnen auf dem Graben begegnen müssen, dachte ich; dass es tatsächlich eine verheerende Dummheit gewesen ist, an diesem Tag auf den Graben zu gehen und auch noch, wie es meine Gewohnheit geworden ist allerdings seit ich aus London nach Wien zurückgekommen bin, auf dem Graben mehrere Male hin und her zu gehen, wo ich es mir hätte ausrechenen können, dass ich die Auersberger einmal treffen muss, und nicht nur die Auersberger, sondern auch alle anderen von mir seit Jahrzehnten gemiedenen Leute, mit welchen ich in den Fünfzigerjahren einen intensiven, wie die Auersberger zu sagen pflegten, intensiven künstlerischen Verkehr gehabt habe; den ich aber schon vor einem Vierteljahrhundert aufgegeben habe, also genau zu dem Zeitpunkt, in welchem ich von den Auersberger weg nach London gegangen bin, weil ich mit ll diesen Wiener Leuten on damals gebrochen habe, wie gesagt wird, sie nicht mehr sehen und mit ihnen absolut nichts mehr zu tun haben wollte.
Auf den Graben gehen heißt ja nichts anderes, als direkt in die Wiener Gesellschaftshölle zu gehen und gerade jene Leute zu treffen, die ich nicht treffen will, deren Auftauchen mir auch heute noch alle möglichen Körper- und Geisteskrämpfe verursacht, dachte ich auf dem Ohrensessel sitzend, und ich hatte aus diesem Grunde schon in den letzten Jahren meiner Wienbesuche von London aus den Graben gemieden und bin andere Wege gegangen, auch nicht auf den Kohlmarkt, selbstverständlich nicht auf die Kärntnerstraße, die Spiegelgasse habe ich gemieden genauso wie die Stallburggasse und die Dorotheergasse und ebenso die von mir immer gefürchtete Wollzeile und die Operngasse, auf welcher ich so oft in die Falle gerade jener Menschen geraten bin, die ich immer am meisten gehasst habe. Aber in den letzten Wochen, dachte ich auf dem Ohrensessel, hatte ich auf einmal ein großes Bedürfnis gehabt, gerade auf den Graben und auf die Kärntnerstraße zu gehen, wegen der guten Luft und dem mir auf einmal angenehmen vormittägigen Menschenwirbel gerade dort und gerade auch auf dem Graben und auf der Kärntnerstraße, wahrscheinlich, weil ich endlich und entschieden dem monatelangen Alleinsein in meiner Währinger Wohnung, meiner mich ja schon stumpfsinnig machenden Isolation entkommen, entgehen wollte.
Ich habe es in den letzten Wochen immer als Geistes- und Körperberuhigung empfunden, die Kärntnerstraße und den Graben entlang und also den Graben und die Kärntnerstraße hin und wieder zurückzugehen; meinem Kopf hat dieses Hinundhergehen genauso gut getan, wie meinem Körper, als ob ich in letzter Zeit dieses Hinundhergehen auf dem Graben und auf der Kärntnerstraße wie nichts notwendig gehabt hätte, lief ich tagtäglich in den letzten Wochen die Kärntnerstraße und den Graben hinauf und wieder herunter; auf der Kärntnerstraße und auf dem Graben war ich auf einmal, offen gesagt, nach monatelanger Geistes- und Körperschwäche, wieder in Gang und zu mir gekommen; es erfrischte mich, wenn ich die Kärntnerstraße hinauflief und auf den Graben und wieder zurück; nur dieses Hinundherlaufen, habe ich dabei immer gedacht, und es ist doch mehr gewesen; nur dieses Hinundherlaufen, sagte ich mir immer wieder und es hat mich tatsächlich wieder denken und tatsächlich wieder philosophieren, mich mit Philosophie und Literatur beschäftigen lassen, die in mir schon so lange zeit unterdrückt, ja abgetötet gewesen waren. Gerade dieser lange krankmachende Winter, den ich unglücklicherweise, wie ich jetzt denke, in Wien und nicht, wie die vorausgegangenen, in London verbracht habe, hat in mir alles Literarische und Philosophische abgetötet gehabt, dachte ich auf dem Ohrensessel; durch dieses Hindundherlaufen auf dem Graben und der Kärntnerstraße habe ich es mir selbst wieder möglich gemacht, und ich führte tatsächlich diesen meinen Wiener Geisteszustand, den ich auf einmal als einen sozusagen geretteten Geisteszustand bezeichnen durfte, auf diese Graben- Kärntnerstraßentheraphie zurück, die ich mir verordnet hatte ab Mitte Jänner.
  Holzfällen
  8
  11
  No
  Yes
  Yes
  No
  (none)
  Kärntnerstraße

Near fragment in time

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At the beginning of this century, Vienna was home to a Jewish population of about 200,000 including unusually large concentrations of Turkish, Galician, Balkan, and Hungarian Jews. Synagogues proliferated to accommodate regional groups, graduation of orthodoxy, and craftsmen in special industries who formend their own congregations. The stylistic range in Viennese synagogues encompassed neoclassicsm (Seitenstettengasse), Moorish (Tempelgasse), a free mixture of massive art nouveau with Romanesque and Gothic detail (Pazmanitengasse), and timid modernistic (Hitzing-Eintelbergergasse). Of all these synagogues, numbering about sixty during the mid- 1930s, only one survived the second World War. That was the oldest, the „Tempel“in the Seitenstettengasse in central Vienna. It took a long time for the Jews to increase sufficiently in number and status to commission this building. There had been Jews in Vienna since the late twelfth century; the first synagogue, in St. Stephen´s parish, was mentioned in a document of 1204. Later thirteenth-century documents refer to this or other synagogues, and documents of 1406 and 14220 refer to the burning of synagogues. The document of 1420 describes the synagogue on the Judenplatz as having a men´s prayer hall, a women´s section linked to the men´s by a window, movable seats, and an area where oil was stored. In 1421 came the expulsion or burning of the few Jews who had not died during the program of the previous year.
pp 186 from Synagogues of Europe: Architecture, History, Meaning by Carol Herselle Krinsky

Near fragment in space

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Nachdem er seine Notizen vervollständigt und bezahlt hatte, verließ er das Café und ging durch den ersten Bezirk zurück ins Kommissariat. Auf der Kärntner Straße kam ihm stoßweise ein eisiger Wind entgegen, der bis in die Knochen zu kriechen schien. Scheißstadt ... da könnte er doch gleich auf einer Ölplattform in der Nordsee anheuern: besseres Gehalt, wenig Zeit für dumme Gedanken, kein Innenminister, kein Polizeipräsident, höchstens wettergegerbte Vorarbeiter, die andauernd herumbrüllten, aber im Grunde gutherzige Menschen waren, Schäfer, schwing deinen nichtsnutzigen Ösi-Arsch hierher, in ölverschmierten Overalls Pumpen instand halten, an riesigen Schraubenrädern drehen ... vielleicht sollte er das wirklich tun.
pp 51-52 from Ohnmachtspiele by Georg Haderer