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Wien - pp 114-115

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Aber mitten in der City stehen noch die alten Basteien und auf ihnen gelbe Kastenhäuser mit glatten Fassaden, kleinen Fenstern zwischen breiten Grundpfeilern, die große Räume ahnen lassen; da die Plafonds nieder sind, reicht das Fenster um den Raum zu hellen; von der Front ist Mörtel geschält, der Stein graut hervor, Blumenbehälter streuen Buntheit. Aber nicht überall ist Helle. Verlieren wir uns hinter die schräg angemauerten Basteien, die Albrechtsrampe, die Mölkerbastei, die (Dominikaner) Stubenbastei, die da noch von Altem zeugen, so wachsen winklig ineinander verschnittene Häuschen üppig überpackt empor. Schwibbogen turnen über die Gassen, busige Balkons laden weit aus, düster springen adlige Steinembleme aus verkniffenen Palastfronten aschigen Aussehens. Die Häuschen klettern beinahe flächig übereinander aufwärts, wie eine Verschnitzung der größeren Paläste, an die sie sich drücken. Eine Bronzeplakette an der ältesten Brücke beim Roten- Turm- Tor, die dort über den Seitenarm der großen Donau führte, der jetzt als mit dem Zirkel gezogener Kanal ausgesteint ist, zeigt im kräftig gewölbten Relief die Ansicht der alten Stadt, die sich dort vordem ein wenig bergan stufte, den Hügel hinauf, auf dessen Plateau der Stefansdom ragte und noch ragt: unter den größeren neuen Häusern verliert sich dieses Gefühl für ds Bergige, aber Wien ist hügelig. So spürt man stellenweise noch die alten Häuser an seinen Buckeln hinabrinnen. Kastanienbäume fallen über körnige Mauern vor, aus Pfarreien, meierartig im Geviert um einseitig offene Häfe gestellt, erhebt sich eine kühle seelische Wolke aus Vergangenheit, die doch so gegenwärtig und unabänderlich empfunden wird. Sieht man aber durch die dunklen, schwergetorten Einfahrten der Paläste, die auf nur doppelmannsbreite Gäßchenklemme einander andräunen, so badet der Blick in einer überraschenden Freiheit; weite reine Arkadenhöfe mit großen Brunnenteller, inmitten von Nischen, in denen Heilige träumen, blank gescharrter Boden oder Fliesen mit dünner Geometrie spenden Licht und edlen Raum zurück, man könnte sich in Italien fühlen, so streng und doch so leicht baut sich das alte Gebäu um die noble Lichtung herum. Freitreppen tänzeln gefällig zum Stockwerk, ein hoher reifer First lächelt voll Herrentums über das gegibelte Gewirr des anrainenden Gedächers.
  Wien
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Ich erinnerte mich mit ein wenig Neugier des Praters, wo jetzt zu Frühlingsende, zu Sommersanfang, die schweren Bäume wie riesige grüne Lakaien rechts und links der von Wagen durchflitzten Hauptallee stehen und reglos den vielen geputzten eleganten Menschen ihre weißen Blütenherzen hinhalten. Gewohnt, auch dem flüchtigsten meiner Wünsche sofort nachzugeben, rief ich den ersten Fiaker an, der mir in den Weg kam, und bedeutete ihm auf seine Frage den Prater als Ziel. »Zum Rennen, Herr Baron, nicht wahr?« antwortete er mit devoter Selbstverständlichkeit. Da erinnerte ich mich erst, daß heute ein sehr fashionabler Renntag war, eine Derbyvorschau, wo die ganze gute Wiener Gesellschaft sich Rendezvous gab.
pp 8 from Amok: Novellen einer Leidenschaft by Stefan Zweig

Near fragment in space

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Eine Strategie! Ja, dachte Breuer auf dem Heimweg im Fiaker, es wurde höchste Zeit, dass auch er sich eine Strategie überlegte. So sehr war er damit beschäftigt gewesen, Nietzsche in die Falle zu locken, dass er bislang keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie er den Fang zähmen sollte, der nun auf Zimmer 13 der Lauzon-Klinik festsaß. Während der Fiaker schwankte und holperte, wandte sich Breuer also strategischen Überlegungen zu. Ein schöner Schlamassel; Anhaltspunkte gab es keine, geschweige denn Schulfälle. Er müsste eine vollkommen neue Behandlungsmethode erfinden. Am besten, er besprach die ganze Sache mit Freud; der begrüßte jede solche Herausforderung. Breuer bat Fischmann, am Spital anzuhalten und Doktor Freud ausfindig zu machen.
Das Wiener Allgemeine Krankenhaus, in dem Freud als Aspirant klinische Erfahrung für die spätere eigene Praxis sammelte, glich einer Stadt in der Stadt: In einem Dutzend Gebäudekarrees mit jeweils geschlossenem Hof, von welchen jedes eine eigene Abteilung beherbergte und welche alle durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge miteinander in Verbindung standen, waren zweitausend Patienten untergebracht. Eine vier Meter hohe Mauer riegelte die Außenwelt ab.
Fischmann, mit den verschlungenen Wegen bestens vertraut, eilte von dannen, um Freud von seiner Abteilung zu holen. Minuten später schon kehrte er allein zurück. »Doktor Freud ist nicht im Hause. Doktor Hauser sagte mir, er wäre vor einer Stunde in sein Stammlokal gegangen.«
Das von Freud frequentierte Kaffeehaus, das Café Landtmann am Franzensring, lag nur wenige Straßenzüge entfernt, und dort traf Breuer seinen Freund auch an. Er saß allein vor einem Braunen und studierte ein französisches Literaturjournal. Im Café Landtmann verkehrten vorwiegend Ärzte, klinische Aspiranten und Medizinstudenten. Obschon weniger exklusiv als Breuers Stammcafé Griensteidl, abonnierte das Landtmann über achtzig Zeitungen und Zeitschriften, mehr vielleicht als jedes andere Wiener Kaffeehaus.
»Sigmund, lassen Sie uns auf eine Leckerei zu Demel gehen. Ich habe Neuigkeiten über den Migräne-Professor.«
Im Nu war Freud aufbruchsbereit. Er schwärmte leidenschaftlich für die illustre Wiener Hofzuckerbäckerei, konnte sich einen Besuch jedoch nur dann leisten, wenn er eingeladen wurde. Zehn Minuten darauf saßen sie an einem ruhigen Ecktisch. Breuer bestellte zwei Braune, ein Stück Schokoladenkuchen für sich selbst und für Freud Zitronencremetorte mit Schlag, welche dieser so gierig verschlang, dass Breuer seinen jungen Freund drängte, sich vom silbernen Kuchenwagen ein zweites Stück auszuwählen. [...] »Aber ja!« Breuer war begeistert. »Eine bedeutsame Einsicht!« Er ließ ein paar Kupferkreuzer auf dem Tisch liegen, und dann schlenderten er und Freud hinaus auf den Michaelerplatz. »Wenn mein Patient diesen anderen Teil in sein Ich aufnehmen könnte, wäre viel gewonnen. Wenn er einzusehen vermöchte, wie natürlich es ist, Trost von seinen Mitmenschen zu erhoffen, das genügte schon!«
Sie gingen den Kohlmarkt hinab und trennten sich dann im Gedränge am Graben. Freud schlug den Weg durch die Naglergasse zum Krankenhaus ein, Breuer schlenderte über den Stephansplatz Richtung Bäckerstraße. Die Nummer 7 lag schräg hinter den hochaufragenden romanischen Türmen des Westwerkes des Stephansdoms.
pp 217-226 from Und Nietzsche weinte by Irvin D. Yalom