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Der Fall des Lemming - pp 84-85

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Ein leises Schnurren der Schaltkreise, begleitet vom gedämpften Klang platzenden Popcorns in einem Eisenkessel, und auf dem Monitor leuchtet das erste Ergebnis auf. Es ist die Internetseite des renommierten Hotel Kaiser am Schottenring. Hundert Jahre Kaiser, verrät die goldene Jugendstilschrift auf dem Bildschirm und ein Jahrhundert gehobene Gastlichkeit im gediegenen Ambiente der Belle Époque. Weiter unten kann man nachlesen, dass sich das Hotel seit seinem Gründungsjahr 1898 im Besitz der Familie Söhnlein befindet, deren bislang jüngster Sohn Albert 1988 die Leitung des Hauses übernommen hat. Der Lemming vermerkt es mit Bleistift im Jahresbericht und sucht weiter. Doch es gelingt ihm erst nach geraumer Zeit, einen zweiten Treffer zu landen. sebastian kropil – chorale florale – une plantasie musicale. Weiße Minuskeln im Zentrum unendlicher Schwärze, die absolute Reduktion der ästhetischen Mittel. Wenn das nicht nach Kunst riecht … Hilflos fuhrwerkt der Lemming mit der so genannten Maus herum, drückt frenetisch auf die Tasten des elfenbeinfarbenen Dings, und plötzlich verschwindet das Wort plantasie, um gleich darauf in giftigem Grün wieder zu erscheinen, sich aufzublähen, zu wachsen, ja förmlich über den Bildschirm zu fluten. Aus den kleinen Boxen zu beiden Seiten des Monitors ertönt jetzt ein scharfes Knirschen, ähnlich dem Geräusch einer zerkratzten Schellack auf dem Plattenteller, und ein Summen, wie man es zuweilen in der Nähe von Hochspannungsleitungen hören kann. Vor den Augen des Lemming entfaltet sich ein weiterer Schriftzug: la plantasie du kropol – kalksburg – randgasse 1/2 – freitag, 17. märz 2000 – 21 uhr. Damit stehen zwei Dinge fest: Sebastian Kropil ist Musiker geworden. Und: Es wird ein langer Abend. Der Lemming zahlt und verlässt das CaféModern, nicht ohne sich zuvor bei seinem neu gewonnen Freund bedankt zu haben.
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Anläßlich der Wiener Weltausstellung wurde das Hotel Metropol nach Plänen der Architekten Carl Schuhmann und Ludwig Tischler in den Jahren 1871-73 für die Wiener Baugesellschaft errichtet. In der zum Morzinplatz gewendeten Hauptfassade konzertierte sich eine Fülle architektonischer Ausdrucksmöglichkeiten der Epoche. Toskanische Säulen am Portikus, eine große Ordnung aus korinthischen Säulen, die teils überlebensgroßen Figuren als Stütze dienten, teils in paarweiser Anordnung das Gebälk von Flankenvorsprüngen trugen, und eine ädikulagerahmte Uhr inmitten einer vasengeschmückten Attikabalustrade verliehen dem Bauwerk große Plastizität. Der glasüberdachte Innenhof und ein reich ausgestatteter Speisesaal allgemein gerühmt. Das Gebäude wurde von einer Bombe getroffen und brannte aus, von den Fassaden wurde jedoch nur eine Hälfte der Gonzagagassenfront zerstört. Bekanntlich war das Hotel Metropol in der Zeit der deutschen Besatzung Sitz der Geheimen Staatspolizei; die Sprengung der Ruine diente vor allem der Austilgung eines Ortes der Gräuel. Der sogenannte Leopold-Figl-Hof entstand an jener Stelle zu einem Zeitpunkt, als das gestalterische Niveau im Bereich des stadtseitigen Donaukanalufers sich auf einem Tiefpunkt befand. Das vor dem Gebäude angepflanzte Gestrüpp bildete für Jahre die dazu passende Gartengestaltung.
pp 121 from Stadtbildverluste Wien - Ein Rückblick auf Fünf Jahrzehnte by Dieter Klein, Martin Kupf, Robert Schediwy

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Unter dem riesigen Lainzer Tiergarten im Südosten Wiens liegt Kalksburg als äußerstes Grätzel des dreiundzwanzigsten Bezirks. Kalksburg ist klein, es erstreckt sich nur über wenige hundert Meter, und doch beherbergt es zwei der prominentesten Institutionen der Stadt: das Kollegium Kalksburg, ein ehemals von Jesuiten geführtes Schulzentrum, und schräg gegenüber, die berüchtigte Trinkerheilanstalt in der Mackgasse. Die psychiatrische Klinik am Steinhof und eben Kalksburg, das sind die vorletzten Stationen des gestrauchelten Durchschnitts-Wieners. Danach kommt nur noch der Zentralfriedhof. Es ist ein weiter Weg vom Liechtental nach Kalksburg; nicht weniger als dreimal muss der Lemming umsteigen, und als ihn Straßenbahn, U-Bahn, Schnellbahn und Bus endlich nach Liesing gebracht haben, muss er zu Fuß weiterlaufen, die Ketzergasse entlang, die kurz vor der Jesuitenschule verschämt ihre Richtung ändert und plötzlich Haselbrunnerstraße heißt. Um fünf vor neun steht er vor dem Haus in der Randgasse, froh, es doch noch geschafft zu haben.Offenbar findet das Konzert in der Wohnung des Künstlers statt; auf einem Zettel an der halb geöffneten Tür im erste Stock stehen abermals die Worte la plantasie du kropil, und aus dem Inneren dringen gedämpfte Stimmen.
pp 91-92 from Der Fall des Lemming by Stefan Slupetzky