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Jüdisches Wien - Stadtspaziergänge - pp 71-73

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2.10 Stadttempel
1., Seitenstettengasse 4
Hinter der Fassade dieses bürgerlichen Stadthauses verbirgt sich die älteste noch existierende Synagoge Wiens, die heute das Zentrum des jüdisch-religiösen Lebens in Wien darstellt. Die Geschichte dieses Gebäudes ist eine sehr bewegte und beinhaltet zahlreiche Elemente, die den Umgang Wiens mit seiner jüdischen Bevölkerung sehr deutlich machen. Gab es sowohl in der mittelalterlichen Judenstadt als auch im Getto im 17. Jahrhundert Synagogen, war den Wiender Juden nach der Auflösung des Gettos 1670 bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts verboten, öffentlich ihre Religion auszuüben und eine Synagoge zu erichten. 1824 war es dann so weit, dass den Wiener Juden genehmigt wurde zu errichten. 1824 war es dann so weit, dass den Wiender Juden genehmigt wurde, eine Synagoge zu erbauen. Der Wiender Biedermeierarchitekt Josef Kornhäusl waurde mit dem Synagogenbau beauftragt. Er plante einen längsovalen überkuppelten Zentralraum mit umlaufenden Galerien, die von monumentalen Säulen getragen werden und die Frauenemporen beherbergen. Die Architektur des Wiener Stadttempels ist Ausdruck der Konflikte zwischen den traditionellen und den assimilierten Juden. So war bereits die ovale Form der Synagoge untypisc für synagogale Architektur. Die Bima stand nicht mehr in der Mitte des Raumes sondern wurde an den Rand gerückt und befand sich vor dem Toraschrein. Max Eisler, einer der bekanntesten zeitgenössischen Theoretiker des Synagogenbaus, kritisierte den Stadttempel als bourgeois und areligiös, für ihn war der Bau ein „Tempel des rationellen Humanismus“ , der „draußen wie ein Zinshaus, drinnen wie ein Theater“ ausschaue und doch nichts anderes sei als „ein Mantel ohne Kern“. Den im Vormärz geltenden Bauvorschriften Josephs II. für nichtkatholische Gotteshäuser entsprechend war der Bau von der Straße aus nicht sichtbar, sondern hinter der Fassade eines Stadthauses „versteckt“. Dieser Tatsache wiederum verdankt der Stadttempel, dass er während des Novemberprogroms 1938, in der so genannten Kristallnacht, nicht angezündet wurde, da die Gefahr bestand, dass der ganze Häuserblock in Flammen aufgehen würde. Die von den Nazis zerstörte Innenausstattung wurde rekonstruiert und 1963 generalsaniert. Insgesamt wurden im November 1938 über 70 Wiener Synagogen und Bethäuser zerstört. Die Eröffnung des Stadttempels im Jahr 1926 ist auch Zeichen langsamer gesellschaftlicher Anerkennung und wachsenden Selbstbewusstseins des Wiener Judentums. Isak Noa Mannheimer wurde als bedeutender Prediger nach Wien geholt. Es gelang ihm, Reformen einzuführen, die sowohl von reformierter Seite als auch von orthodoxer Seite akzeptiert wurden. Unterstützt wurde er vom jungen Kantor Salomon Sulzer, der die Synagogalmusik reformiert. Er fand durch seine Musik und seine Stimme weit über die Kreise der Judenschaft hinaus Anerkennung. Mannheimer selbst war offiziell als „Direktor der israelischen Religionsschule“ nach Wien gekommen, nur de facto war er als Rabbiner tätig. Er unterstütze die Revolution von 1848 und engagierte sich für die bürgerliche Gleichstellung der Juden (-> Märzpark). Gebrauchte Kaiser Franz Joseph bereits 1849 gegenüber einer Abordnung von Juden die Formulierung „Israelitische Gemeinde von Wien“, so kam es erst 1852 zur formalrechtlichen Anerkennung der Wiener Juden als Gemeinde, 1853 wurde Leopold von Wertheimstein zum ersten Präsidenten gewählt. Die Israelitische Kultusgemeinde übernahm es nun offiziell, ein soziales Netz für ihre Mitglieder von der Geburt bis zum Tod zu knüpfen: von Unterstützungen von Witwen und Waisen, Fürsorge für Arme und Berufsunfähige, Krankenpflege und Bestattung über Lehrhauseinrichtungen und Gewährung freien Unterhalts für mittellose Schüler bzw. Rabbinatskandidaten bis hin zur Ausstattung armer Bräute. Auch heute nicht verfügt die Kultusgemeinde über zahlreiche soziale Einrichtungen wie ein Altersheim, das psychosoziale Zentrum ESRA, aber auch Schulen und Kindergärten (->Serviceteil) Die Konstitution der Gemeinde und Zugeständnisse an die Emanzipation, deren Höhepunkt die bürgerliche Gleichstellung der Juden duch das Staatsgrundgesetz war, machte Wien zum Anziehungspunkt für Juden aus den Provinzen der Monarchie. Die Hoffnung auf wirtschaftliche und soziale Aufstiegschancen führten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem sprunghaften Anstieg der jüdischen Bevölkerung in Wien (1860: 5200, 1869: 40.000, 1880; 73000). 1938 lebten ca. 180.000 Juden in Wien, die durch den NS-Terror bis auf wenige Ausnahmen vertrieben oder umgebracht wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen kaum mehr Wiener Juden zurück, heute zählt die Kultusgemeinde ca. 7000 Mitglieder. Die Synagoge ist im Rahmen von Führungen zu besichtigen. In diesem Gebäude befindet sich auch der Sitz der Israelitischen Kultusgemeinde und die Bibliothek des jüdischen Museums. Der angrenzende Seitenstettenhof stammt ebenfalls von Josef Kornhäusl. Das Erdgeschoß wurde 1999 vom jungen Wiender Architektenteam Karin Nekola und Josef Schweighofer für ein koscheres Restaurant umgebaut
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Zu Silvester 1963 war mein Vater das erste Mal im Haus seiner künftigen Schwiegereltern in Scheibbs. Es sollte für Jahre das letzte Mal sein. Mein Vater war immer noch Vorsitzender des Verbands Sozialistischer Studenten und gehörte als solcher auch dem Parteivorstand an. Meine Mutter hatte gerade ein Trimester in der Hauptschule am Henriettenplatz unterrichtet. Obwohl in Wien damals noch ein Mangel an Hauptschullehrern herrschte, waren Monate vergangen, bis sie die Stelle bekommen hatte. Die Beamten im Stadtschulrat sagten zu ihr, sie solle in Niederösterreich unterrichten. Dort gehöre sie hin und dort könne sie sicher auch sofort anfangen. Meine Mutter verstand nicht gleich, dass mit der Formulierung, dort gehöre sie hin, das vermutete Parteibuch ihres Vaters gemeint war. Sie hätte sich, als sie dann endlich verstand, worum es ging, darauf berufen zu können, dass sie mit einem Vorstandsmitglied der Sozialistischen Partei liiert sei, aber das wollte sie nicht. Sie wollte nicht ihrem Freund, sondern dem eigenen Können die Stelle verdanken. Meine Mutter blieb hartnäckig; so lange, bis ein Beamter genug davon hatte, bei meiner offenbar begriffsstutzigen Mutter immer noch um den heißen Brei herumreden zu müssen. Er sagte: Ich gebe Ihnen einen Rat. Treten Sie der SPÖ bei. Das tut nicht weh, das kostet nicht viel und Sie haben Ihren Posten.
pp 60-61 from Das Vaterspiel by Josef Haslinger

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Vom Café Diglas zur Wohnung von Mertens am Franz Josefs Kai 25 waren es keine zehn Minuten zu Fuß. Das Haustor war verschlossen und Wagner wollte an der Gegensprechanlage bei Mertens läuten, als eine junge Frau mit dem Kinderwagen aus dem Haus kam.
pp 63 from Ewig by Gerd Schilddorfer, David Gustav Leopold Weiss