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Das Vaterspiel - pp 277-278

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Soweit ich mich zurückerinnern konnte, trug meine Mutter immer Stützstrumpfhosen. Ihre Beine hatten eine Neigung zu Krampfadern. Meine Mutter meinte, die Stütz-strumpfhosen würden das Schlimmste verhindern. Später, als mein Vater schon viel Geld verdiente, ging sie mehrmals in die Privatordination von Dr. Staudacher, einem bekann-ten Wiener Gefäßchirurgen, der sie am rechten Bein ope-rierte und einige Stellen am linken Bein mit Injektionen be-handelte. Sie war mit dem Ergebnis zufrieden, trug aber weiter ihre Stützstrumpfhosen. Das Wissen um die Qua-litäten ihrer Stützstrumpfhosen gab sie an Bekannte wie eine Geheiminformation weiter. Sie nannte immer das Geschäft in der Mariahilfer Straße, wo diese Strumpfhosen zu bekommen waren, mit gedämpfter Stimme, als wäre es die Adresse einer Pornobar. Meine Mutter hatte noch ein zu-sätzliches Problem, sie hatte kurze Beine. Die von der Länge passende Stützstrumpfhose mit der Nummer 40 war ihr zu eng, sie presste ihr das Blut aus den Beinen. Sie brauchte eine Stützstrumpfhose mit Schenkelüberweite. Aber die war schwer zu bekommen. Am Anfang musste die Strumpfhose meiner Mutter im Geschäft in der Mariahil-fer Straße immer eigens bestellt werden. Nach etwa einer Woche kam der Anruf. Die Stützstrumpfhose sei zum Abholen bereit. Später war meine Mutter in dem Geschäft in der Mariahilfer Straße schon so gut bekannt, das immer eine ihrer Spezialstrumpfhosen auf Lager war. Vielleicht auch, weil meine Mutter diesem Geschäft viele Kunden zu-geführt hatte. Im Bekanntenkreis meiner Mutter gab es bald keine Frau mehr, die nicht Stützstrumpfhosen trug. Selbst die Therapiegaby, deren nackte Füße ich immer bewundert hatte, stand eines Tages, als sie meine Mutter zum Kino abholte, in einer Stützstrumpfhose da.
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  Mariahilfer Straße

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2.9 Morzinplatz
1., Morzinplatz
An der Stelle, an der heute dieses Mahnmal, steh befand sich das Hotel Metropol, das ab 1938 die Gestapoleitstelle Wien beherbergte. In dieses Hotel wurden nach dem „Anschluss“, die Gefangenen eingeliefert und verhört und gefoltert. Auch für viele Juden war dies die erste Station auf ihrem Leidensweg, zahlreiche Menschen wurden hier während der Verhöre zu Tode gequält. 1951 errichtete der KZ Verband ohne behördliche Bewilligung einen den Gestapo Opfern gewidmeten Gedenkstein. Die Stadt Wien nahm das Mahnmal in ihre Obhut und errichtete 1985 ein neues Mahnmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft und übernahm auch den Text, der von Wilhelm Steiner, dem Präsidenten des KZ-Verbandes, stammte: „Hier stand das Haus der Gestapo. Es war für die Bekenner Österreichs die Hölle. Es war für viele von ihnen der Vorhof des Todes. Es ist in Trümmer gesunken wie das Tausendjährige Reich. Österreich aber ist wiederauferstanden und mit ihm unsere Toten, die unsterblichen Opfer.“ Ein Block aus Mauthausener Granit und eine Bronzefigur sollen das Schicksal der KZ-Häftlinge symbolisieren. Typisch für die Gedenkkultur der Nachkriegszeit, die sich vor allem auf den demokratischen Grundkonsens der Versöhnung über die Parteigrenzen hinweg bezog, ist, dass die gefolterten, gedemütigten und ermordeten österreichischen Juden mit keinem Wort erwähnt werden, einzig der eingemeißelte gelbe Stern lässt erahnen, dass auch Juden zu diesen Opfern zählen.
pp 70 from Jüdisches Wien - Stadtspaziergänge by Michaela Feuerstein, Gerhard Milchram

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"Am Weihnachtsabend des Jahres 1918 kehrte ich heim. Elf zeigte die Uhr am Westbahnhof. Durch die Mariahilferstraße ging ich. Ein körniger Regen, mißratener Schnee und kümmerlicher Bruder des Hagels, fiel in schrägen Strichen vom mißgünstigen Himmel. Meine Kappe war nackt, man hatte ihr die Rosette abgerissen. Ich selbst war nackt. Die Steine waren nackt, die Mauern und die Dächer. Nackt waren die spärlichen Laternen. Der körnige Regen prasselte gegen ihr mattes Glas, als würfe der Himmel sandige Kiesel gegen arme große Glasmurmeln."
pp 110-111 from Die Kapuzinergruft by Joseph Moses Roth