Arrows_down
Arrows_up
« Back to Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien

Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 443-444

Quote
Als sie in Wien aus dem Ankunftsbereich des Flughafens traten, fiel Annas Blick sofort auf Helmut Motzko, der wie ein erwartungsvolles Kind direkt an der Absperrung stand. »Guten Morgen, Herr Motzko. Darf ich vorstellen: Hauptkommissar Thomas Bernhardt aus Berlin.« »Guten Morgen, Frau Habel, guten Morgen, Herr Hauptkommissar.« Motzko schlug die Hacken zusammen, und wenn er überrascht war über die Berliner Begleitung, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. »Wollen Sie zuerst nach Hause oder gleich ins Präsidium?« »Weder noch. Ich will an den Tatort. Sind die Spurensicherer noch zugange?« »Ich glaube schon. Herr Kolonja kommt auch gleich noch mal. Die aufgegriffene Frau schläft, man hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.« »Wo hat man den Toten gefunden?« »In einem Innenhof des Lebensministeriums.« »Des was?« Bernhardt konnte ein Grinsen nicht verkneifen. »Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, kurz Lebensministerium genannt. Unser Toter, Werner Tollinger, 62, Ministerialrat, wurde gestern um circa 22 Uhr 30 von einem Wachmann im Ministerium am Stubenring aufgefunden. Er ist aus dem sechsten Stock gestürzt und war laut Dr. Schima sofort tot.«
  443
  444
  No
  Yes
  No
  No
  (none)

Near fragment in time

Quote
Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by Vea Kaiser

Near fragment in space

Quote
Mein Nachbar lutscht an einer Lakritzstange. Soweit ich den Überblick behalten habe, ist es die dritte, seit die Boeing 737 die Startbahn in Wien Schwechat verlassen hat. Mir hat die Reisebegleiterin geraten, beim Steigen und Sinken des Fliegers Kaugummi zu kauen. Kurz vor Abflug, auf den Bildschirmen blinkte "boarding" neben unserer Destination, bin ich in den Supermarkt der untersten Ebene des Flughafens gelaufen.
pp 191 from Gegen einsam by Daniela Meisel