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Verlass die Stadt - pp 94

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In Wien und nur in Wien wird als Schutzhaus ein Versammlungsort für die Siedler und Siedlerinnen einer Kleingartenanlage bezeichnet. Häufig wird hier auch gastronomischer Service geboten.
Auf der Schmelz, einem ehemaligen Parade- und Exerzierplatz im 15. Bezirk, befinden sich heute Schrebergärten und das Schutzhaus zur Zukunft. Täglich von 9 bis 24 Uhr geöffnet, verfügt es über einen sehr großen Gastgarten mit Bierbänken, Kies, Kastanienbäumen, in dem untertags meist der Großteil der Plätze frei ist und man seine Ruhe hat, bei der derzeitigen Hitze ist man beinah allein.

Hier sitzt Gudrun im Schatten der Bäume, trinkt Wasser mit Zitrone und schreibt lose Sätze auf weiße Zettel. Sie schreibt langsam, mit Bleistift, und streicht nie etwas durch.
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Ich nahm mein Heft heraus und schrieb Folgendes: 'Er bog ab und ging südlich weiter, hinauf zur Rotenturmstraße, überquerte den Stephansplatz. Ecke Graben kam ihm Wilma entgegen. Er küsste sie auf die Wange. Sie schaute ihn an, wollte was fragen. "Wohin des Weges?", fragte er. "Ich glaub, ich geh heim. Und du?" "Bräunerhof. Deutsche Zeitungen lesen." Wilma blickte auf die Uhr:"Eine halbe Stunde." "Fein", sagte Demant. "Die Süddeutsche kann warten." Vor der Dorotheergasse blieb Wilma abrupt stehen. "Ich geh doch lieber heim." Sie küsste ihn jetzt rasch auf die Wange, ging zum Stephansplatz zurück. Demant zuckte die Achseln, marschierte am Hawelka vorbei, blieb vor der Casanovabar stehen, um die Fotographien der Nackten zu betrachten. Im Bräunerhof bestellte er sich einen großen Mokka und suchte dann die Süddeutsche. "Ist in der Hand", sagte der Ober Ferdinand. Demant holte sich also die Frankfurter Allgemeine und begann zu lesen. Er las und las und war gar nicht dabei. Seine Gedanken schwebten über den Zeilen, hielten sich aber noch zwischen der Zeitung und seinen Augen. Nach einer Viertelstunde aber flogen sie davon.' Also schrieb ich lustig dahin, dass die Schwarten krachten, bosselte den werdenden Roman GEBÜRTIG.
pp 175-176 from Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden by Robert Schindel

Near fragment in space

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Na gut, das hätten wir, sagte mein Vater. Er rieb sich die Augen. Und wenn du dir noch einmal so einen Blödsinn einfallen lässt, fuhr er fort, hole ich dich wieder ab. Aber für die Burschen wird es dann nicht mehr so glimpflich ausgehen. Du weißt hoffentlich, dass ich sie auch belangen könnte, zumindest diejenigen von ihnen, die schon volljährig sind.
Klara schwieg weiter.
Du siehst das jetzt sicher falsch, sagte ich zu Klara. Ich habe zu dir gehalten.
Und da gab Klara das einzige Wort während der ganzen Fahrt von sich: Arschloch.
Ts, ts, ts machte mein Vater. Er hat Recht, er hat zu dir gehalten.
Aber meine Schwester schien das nicht zu interessieren. Wir fuhren schweigend die Koppstraße hinauf. Eine Weile dachte ich einen kurzen Satz und dann, nach mehreren Anläufen, sagte ich ihn: Ich ziehe aus.
Recht hast du, antwortete mein Vater mit gespielter Begeisterung. Werde endlich selbstständig. Ich habe mit neunzehn auch nicht mehr daheim gewohnt. Ich war im Sprengel tätig, in der Bezirksgruppe und im Studentenverband. Das waren mindestens drei Versammlungen pro Woche. Zusätzlich ging ich in Meidling auch noch kassieren. Ich kenne in unserem Sprengel nicht nur jeden Gemeindebau, ich kenne jede zweite Wohnung. Und dann habe ich auch noch studiert. Und zwar wirklich studiert. Bisher habe ich ja zugesehen und nichts gesagt. Aber mir fällt schon auf, dass du angeblich seit zwei Semestern studierst, und ich habe keinen einzigen Schein zu Gesicht bekommen. Ich sehe dich immer nur vor dem Computer sitzen.
Okay, sagte ich, ich suche mir was, und dann ziehe ich aus.
Gut, mach das, sagte mein Vater. Er rieb sich wieder die Augen. Gähnend fügte er noch hinzu: Ich werde es Mathilde beibringen.
pp 169-170 from Das Vaterspiel by Josef Haslinger