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Anna nicht vergessen - pp 198

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Mehr laufend als gehend, mit pochendem Kopf, erreichte Herr Gabriel die Halle vor dem Wartesaal Ost um Viertel vor drei. Er mußte sich erst beruhigen, so atemlos hatte ihn die Lauferei gemacht, ehe er sich imstande sah, einen Gehilfen herbeizuwinken, der schon unter seiner, Herr Gabriels, Leitung Kaufpreise eingehoben und Waren ausgefertigt hatte. Der Gehilfe möge unter den Gepäckstücken, die noch zur Versteigerung stüden, eines nennen, das besonders vielversprechend sei, er, Herr Gabriel, habe Pläne damit.
Ohne sich mit Fragen oder Erklärunge aufzuhalten, als ob die Dinge längst abgesprochen seien, bezeichnete der Gehilfe einen buckelalten Koffer, worauf Herr Gabriel eilig einen Platz in der ersten Reihe einnahm und wenig später unter dem Applaus der alten Bekannten, der verschrobenen Greisinnen und Fetischisten, die keine Versteigerung versäumten, den besagten Koffer zugeschlagen bekam. Plötzlich redeten alle Leute. Doch Herr Gabriel faßte den Griff, einen handfesten Ledergriff, und entfernte sich rasch.
Der Koffer war gar nicht schwer. Er umschmeichelte Herrn Gabriels Schritte wie ein wertvoller Degen oder ein vertrautes Tier.
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  Südbahnhof

Near fragment in time

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Ich ging die Piaristengasse bis zum Ende, betrat den Schönbornpark, die Kinderbetreuungsstätten waren mit Maschendrahtzaun umgeben, an denen sich einige stille Jungen festgekrallt hatten, sie versuchten, hochzuklettern, rutschten aber langsam ab, ich lenkte meine Schritte auf den zerlöcherten Steinfelsen im runden Wasserbecken, der Springbrunnen war abgestellt, auf fast allen Parkbänken lagen Obdachlose, unter den Parkbänken im Schatten schliefen die Tauben.
pp from Liebesbrand by Feridun Zaimoglu

Near fragment in space

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Ein großer Zwiespalt tut sich jetzt im Lemming auf, ein schmerzhafter Riss zwischen Körper und Geist, zwischen knurrendem Magen und klarem Verstand. Ein anderer Leopold kommt ihm in den Sinn, nämlich Leopold Figl, der ehemalige österreichische Außenminister und so genannte Vater des Staatsvertrags, von dem es heißt, er habe einst Chruschtschow und Molotow unter den Tisch getrunken, habe sie regelrecht abgefüllt, sie weich gesoffen und die Sowjets auf diese Art zum Abzug ihrer Besatzungstruppen bewegt. «Österreich ist frei!», hat Figl am fünfzehnten Mai 1955 vom Balkon des Schlosses Belvedere gerufen, und noch heute weiß jedes Kind, dass das Land diese Freiheit seinem guten Wein zu verdanken hat. Aber was, wenn die Russen damals den süffigen Heurigen abgelehnt wenn sie auf Tee und Milch beharrt hätten? Hätte sich Figl allein betrunken? Es geht, denkt der Lemming, doch schließlich darum, die Distanz zu verringern, und nicht, sie zu vergrößern. Zeigen wir uns also solidarisch und lassen wir das Beuschel Beuschel sein …
pp 86-87 from Der Fall des Lemming by Stefan Slupetzky