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Anna nicht vergessen

978-3-446-20911-4
August 2007
August 2007
QuoteUm neun hat Ella das Treffen mit der Kundin. Die Frau ist wie alle, nervös, ganz fahrig, unglücklich; eine mittelgroße, bleichgesichtige Frau um die Vierzig mit rötlichem Haar und ziemlich starken Formen. Das Treffen findet im Burggarten statt, weil sich manche Dinger besser im Gehen besprechen.

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QuoteSie waren einander vor dem Café Schwarzenberg begegnet, nach fünf Jahren wieder (damals beim Einsturz der Reichsbrücke, wo er den Schaulustigen Würstchen verkauft hatte), und Susanne hatte ihn trotz seiner Beteuerung, wie sehr ihn sein Studium in Anspruch nehme, hierher zu dieser Lagerhalle geschleppt. Und das alles nur, wie ihm schien, weil er Susanne rundheraus auf ihre neue Nase angesprochen hatte.

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QuoteWann das gewesen war? Vielleicht, als er den Unterschied zwischen Susanne und sich zu bestimmen vermocht hatte, oder, banaler, als er in derselben Situation gewesen war wie Olacker jetzt und gesehen hatte, daß sie einen anderen küßte, im Eisenbahnerstrandbad oder beim Autodrom im Prater. Er wußte es nicht mehr.

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Quote"Früher warst du eine ziemliche Wasserratte", sagte er. "Bin's immer noch. Ich gehe einmal in der Woche ins Amalienbad, und ich würde öfter hingehen, wo's mit der Alten Donau für mich derzeit Essig ist. Aber das Wasser in den Hallenbädern ist so grauslich, daß mir einen ganzen Tag lang übel ist, wenn ich einen Schluck davon erwische."

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QuoteAm Nachmittag war ich im 1. Bezirk spazieren. Ein sonniger Tag, viele Menschen unterwegs. Vor dem Casino saß ein slowakischer Gitarrist und spielte. Ich habe über eine Stunde zugehört und eine CD gekauft. 15 Euro.

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QuoteDas Bild von ihr, das ich am 29. August im Prater beim Auto-Scooter gemacht habe, steht immer vor mir, und ich kann es nicht aus der Hand geben. Ich hoffe immer noch, daß Jenny den gleichen Schmerz empfindet wie ich und wieder in meine Richtung schaut. Ich selbst gebe mein Bestes.

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QuoteNach dem Essen und Briefschreiben fahre ich um 14.45 Richtung Augarten-Manufaktur. Als ich vor dem Schloß stehe, ruft Jenny an und sagt mir, daß sie mit Birgit bastelt und Excel-Listen erstellt. Nach einem Spaziergang über die Kärntner Straße und den Graben fahre ich um 17.00 wieder in die Wohnung.

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Quote6.00. 7.00. 8.10. Julia ist zeitig in der Firma. Sie ruft um 12.20 kurz an, am Nachmittag ruf ich an wegen Einkaufen, dann um 15.30 und jetzt um 16.50 von der Alserstraße. Julia hat um 17.00 einen Termin beim Frauenarzt, da bin ich gespannt, ob sie mich anruft, wenn sie fertig ist oder ob sie ohne Anruf ins Chelsea geht, weil sie so herumgedrückt hat. 17.55 vom Arzttermin ruft sie mich am Handy an, sie werde nach Hause gehen und aufräumen. Werde es um 20.00 probieren, um zu sehen, ob sie da ist oder im Chelsea. Habe um 20.00 angerufen, Julia ist noch am Putzen. 22.00 habe ich nochmals angerufen und - juppijeh! - sie kommt zu mir, mit dem Taxi.

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Quote6.00 Wecken von Julia, das übliche Gemurmel. Dann noch einmal um 7.00. Julia berichtet über den Abend mit Hilde im Bieramt und im Bettelstudent - nur kurz.

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QuoteUm 17.15 kommt die Volkszählung, damit wäre ich also gezählt. Ich versuche, Julia am Handy davon zu informieren, es läutet dreißigmal. Sie hebt nicht ab. Um 17.45 wieder zwanzigmal, dann geht sie ran. Julia ist mir Carmen auf der Mariahilferstraße und hat angeblich nichts gehört. Ich bin sauer. Sie wahrscheinlich noch mehr. Heute wird sich nichts mehr rühren.

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QuoteEs ist jetzt 18.43, ich bin in meiner Wohnung, und Julia macht sich nicht bemerkbar. Ich meine, sie kann ja nicht schon wieder einkaufen, das hat sie am Montag erledigt. Ich kenne micht nicht mehr aus. Morgen, so habe ich erfahren, möchte sie ins Chelsea gehen. Bin gespannt, ob sie etwas zu mir sagt.

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QuoteStatt in Peru hielt sich Herr Gabriel während der ersten vollen Woche im März am Südbahnhof auf und verfolgte mit großer Aufmerksamkeit den Verlauf der Versteigerung unanbringlicher Güter in der Halle vor dem Wartesaal Ost. Einer seiner ehemaligen Gehilfen gab Ruf und Zuschlag und wiederholte ungeniert die Wendungen, die Herr Gabriel während vieler Jahre geprägt hatte: Da drinnen ist ein Walkmann, eine Stereoanlage und ein Klavier. Sie können es glauben oder nicht. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie auf Verdacht kaufen. Womöglich sind in dem Koffer nur alte Zeitungen. Ich warne Sie. Ständig warne ich Sie. Schließlich will ich nicht, daß Sie am Ende gezwungen sind, arbeiten zu gehen.

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QuoteMan aß den von Schuller mitgebrachten Apfelstrudel aus dem Café Faber in der Rainergasse, der immer von kaltem Rauchgeschmack durchdrungen war, weil im Café Faber an der Kuchenvitrine der vordere Glaseinsatz fehlte, und redete über Politik.

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QuoteMehr laufend als gehend, mit pochendem Kopf, erreichte Herr Gabriel die Halle vor dem Wartesaal Ost um Viertel vor drei. Er mußte sich erst beruhigen, so atemlos hatte ihn die Lauferei gemacht, ehe er sich imstande sah, einen Gehilfen herbeizuwinken, der schon unter seiner, Herr Gabriels, Leitung Kaufpreise eingehoben und Waren ausgefertigt hatte. Der Gehilfe möge unter den Gepäckstücken, die noch zur Versteigerung stüden, eines nennen, das besonders vielversprechend sei, er, Herr Gabriel, habe Pläne damit. Ohne sich mit Fragen oder Erklärunge aufzuhalten, als ob die Dinge längst abgesprochen seien, bezeichnete der Gehilfe einen buckelalten Koffer, worauf Herr Gabriel eilig einen Platz in der ersten Reihe einnahm und wenig später unter dem Applaus der alten Bekannten, der verschrobenen Greisinnen und Fetischisten, die keine Versteigerung versäumten, den besagten Koffer zugeschlagen bekam. Plötzlich redeten alle Leute. Doch Herr Gabriel faßte den Griff, einen handfesten Ledergriff, und entfernte sich rasch. Der Koffer war gar nicht schwer. Er umschmeichelte Herrn Gabriels Schritte wie ein wertvoller Degen oder ein vertrautes Tier.

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QuoteEr war jetzt ein anderer Mensch, verloren und unanbringlich, und dreimal jährlich, im März, im Juni und im Oktober, besuchte er die Versteigerung unanbringlicher Güter in der Halle vor dem Wartesaal Ost mit dem festen Ziel, sich dem Inhalt eines fremden Koffers vorbehaltlos hinzugeben.

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QuoteUnd was war das für eine Stadt, durch die der alte Herr spazierte? In einer Auslage sah man Schokoladenpapier, dessen Farbe von der Sonnenbestrahlung gewechselt hatte. Ein junger Mann trug eine Leiter über die Straße. Hundert Meter weiter, in der Strobachgasse, bot eine Frau der Nachbarin von Fenster zu Fenster ein Kleid zum Geschenk, das durch die letzte Diät zu weit geworden war. Stolz hochgehalten wehte es mit großen Blumen über der Straße. Herr Gabriel begab sich zum Haus Rüdigergasse 5 und öffnete die Wohnung mit der erwartungsvollen, verschwenderischen Zuneigung eines Menschen, der die Schlüssel gerade erst beim Haustor ausgehändigt bekommen hat.

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QuoteWenn sie vom vielen Reden einen trockenen Mund bekommen hat oder das Niveau des Gesprächs so tief gesunken ist, daß sie nichts mehr beisteuern will, macht sie sich davon, geht in die Stadt für ein paar Gänge, die zu erledigen sind, oder zum Shoppen. Warum sie vorgestern während eines dieser unerlaubten Ausflüge versucht hat, eine Schneekugel mitgehen zu lassen, in einer großen, hauptsächlich von Touristen frequentierten Trafik am Michaelerplatz, ist nicht ganz klar; ob für sich oder fürs Büro oder für Mick (am ehesten für Mick oder: um sich dem Augenblick, in dem die Temperaturen fallen, näher zu fühlen). Ebenfalls nicht ganz klar ist, warum sie sich hat erwischen lassen, idiotischerweise, ausgerechnet wärhend der Dienstzeit.

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QuoteAber habe ich dir erzählt, vor Weihnachten, als wir für den Rathausplatz mehrere LKW-Ladungen Schnee aus der Steiermark herbeischaffen mußten? Kinder bauten einen Schneemann, und am nächsten Tag hatte der Schneemann die Karotte und die Kohlen nicht mehr im Gesicht, sondern ein gutes Stück weiter unten. Ausdruck des weltberühmten Wiener Humors, den du unbedingt kennenlernen mußt.

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