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Das Vaterspiel - pp 454-455
Der Gedanke gefällt mir, sagte sie und reihte sich in die Auffahrt zu einer Autobahn ein. Sie konzentrierte sich auf den dichten Verkehr, ich blickte sie von der Seite an. Ihre kurze Höckernase, ihre runden Lippen, die mit Make-up zugekleisterten Poren ihrer Haut. Wenn auch die Frisur nun eine ganz andere war, ich fand das alte Gesicht wie-der. Ihre nicht nur füllige, sondern auch nach außen ge-schwungene Unterlippe, die von der Seite so wirkte, als wäre ihr Mund ein wenig geöffnet, wie oft hatte ich dieses Bild, dieses Gesicht vor mir gehabt. Und doch hatte ich nicht daran geglaubt, Mimi, meine erste wirkliche Liebe, je wiederzusehen. Sie war mir entglitten, ohne dass etwas Besonderes vorgefallen war. Brigitte, das war mir schnell klar geworden, hatte es nicht so gerne, wenn ich in die Mondscheingasse kam. Sie wollte Mimis Kontakt zu mir auf äußerliche Dinge beschränkt sehen. Sie hatte nichts da-gegen, wenn ich den Handwerker spielte oder den Com-puter auf Vordermann brachte, aber sie stellte merkwür-dige Fragen, wenn ich einmal grundlos vorbeigekommen war. Ob Mimi ihr von unserem Zusammensein erzählt hatte? Vielleicht hatte Brigitte es sogar mitgekriegt, hatte zugehört. Der Gedanke, dass Brigitte davon wissen könn-te, war mir unangenehm. Wenn ich in die Mondschein-gasse kam, war dieser Gedanke jedoch immer anwesend. Es war wie das sinnlos gewordene Schweigen über ein längst verratenes Geheimnis, das sich aber in diesem Schweigen noch eine letzte Lebenskraft, eine letzte Erin-nerung bewahren kann. Da Mimi nichts unternahm, um mit mir ein neues Geheimnis entstehen zu lassen, fühlte ich mich auf eine undramatische Weise in der Mondscheingasse auf die Straße gesetzt. Es gab nichts mehr zu repa-rieren, keine Leitungen zu stemmen, keine Lampen zu montieren, keine Zimmer auszumalen, keine Wasserhähne zu entkalken – und so blieb ich fern und wartete vergeb-lich auf einen Anruf, der erst vierzehn Jahre später kam, als ich nicht mehr wartete.
Near fragment in time
Simon Wiesenthal’s office when I first met him in 1974 was on the Rudolfsplatz an undistinguished inner-city square surrounding an unappetizing playground which never seemed to hae an children in it. Rudolfsplatz Number 7 was a drab postwar apartment house in which Wiensthal had maintained an office for a decade.
pp 1895 from Nazi Hunter: The Wiesenthal File by
Near fragment in space
Mimi war noch irgendwo verabredet und musste gehen. Ich bot ihr an, den Kaffee zu zahlen, sie ließ es nicht zu. Sie schrieb ihre neue Adresse auf eine Serviette: Mondscheingasse. Sie sagte, das sei eine Seitengasse von der Neubaugasse, zwischen Mariahilfer Straße und Burggasse. Ich solle bei Safranski klingeln. Sie schrieb mir auch diesen Namen auf die Serviette. Zum Abschied gaben wir uns die Hand.
Bis nächste Woche, sagte ich.
Sie antwortete: Wenn der Vormieter bis dahin seine Sachen abholt. Wahrscheinlich sehen wir uns vorher noch am Institut.
Ich sah sie an den Fenstern vorbeigehen, hinunter Richtung Votivkirche. Ich blieb noch ein wenig sitzen, dann fuhr ich zu meinem Großvater in den Stadtteil Meidling. Als wir noch in der Nähe im Gemeindebau gewohnt hatten, war ich oft, wenn er etwas Handwerkliches getan, zum Beispiel die Wohnung ausgemalt hatte, bei ihm gewesen. Mein Wiener Großvater machte alles selbst. Er hatte auch die meisten Möbel selbst hergestellt. Dabei hatte er keinen großen Kellerraum zur Verfügung. Er schob im Wohnzimmer den Esstisch zur Seite, rollte den Teppich ein, legte auf dem Fußboden Zeitungen aus und stellte Zimmerböcke darauf. Das war seine ganze Werkstatt, Zimmerböcke im Wohnzimmer. Darauf wurde gebohrt, gesägt, gehämmert, geschraubt, gekittet und gestrichen. Nichts stellte er auf dem Boden ab. Alles ruhte immer auf den Zimmerböcken. Und wenn er ausmalte, verwendete er, um die Decke zu erreichen, nicht eine Leiter, sondern stellte auch dafür die Zimmerböcke auf und legte ein dickes Brett darüber. Als Kind hatte ich ihn einmal gefragt, warum diese Dinger Böcke heißen, und er hatte geantwortet, weil sie vier Beine haben, einen Kopf und einen Schwanzstummel, wie Böcke eben.
pp 181-182 from Das Vaterspiel by
Bis nächste Woche, sagte ich.
Sie antwortete: Wenn der Vormieter bis dahin seine Sachen abholt. Wahrscheinlich sehen wir uns vorher noch am Institut.
Ich sah sie an den Fenstern vorbeigehen, hinunter Richtung Votivkirche. Ich blieb noch ein wenig sitzen, dann fuhr ich zu meinem Großvater in den Stadtteil Meidling. Als wir noch in der Nähe im Gemeindebau gewohnt hatten, war ich oft, wenn er etwas Handwerkliches getan, zum Beispiel die Wohnung ausgemalt hatte, bei ihm gewesen. Mein Wiener Großvater machte alles selbst. Er hatte auch die meisten Möbel selbst hergestellt. Dabei hatte er keinen großen Kellerraum zur Verfügung. Er schob im Wohnzimmer den Esstisch zur Seite, rollte den Teppich ein, legte auf dem Fußboden Zeitungen aus und stellte Zimmerböcke darauf. Das war seine ganze Werkstatt, Zimmerböcke im Wohnzimmer. Darauf wurde gebohrt, gesägt, gehämmert, geschraubt, gekittet und gestrichen. Nichts stellte er auf dem Boden ab. Alles ruhte immer auf den Zimmerböcken. Und wenn er ausmalte, verwendete er, um die Decke zu erreichen, nicht eine Leiter, sondern stellte auch dafür die Zimmerböcke auf und legte ein dickes Brett darüber. Als Kind hatte ich ihn einmal gefragt, warum diese Dinger Böcke heißen, und er hatte geantwortet, weil sie vier Beine haben, einen Kopf und einen Schwanzstummel, wie Böcke eben.