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Verlass die Stadt - pp 7-8

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In der Florianigasse, Höhe Lammgasse, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, als hätte ich nie hier gewohnt. In der Margaretenstraße, kurz nach dem Margaretenplatz, wenn man Richtung Innenstadt geht, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich nie hier gegessen. In der Skodagasse, da, wo die Lederergasse in sie mündet, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich hier nie getrunken. In der Siebensterngasse, da, wo die Mondscheingasse von ihr wegführt, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, und das war wohl schon früher so. Als hätten die Straßen zu schöne Namen für mich.

Ich weiß, es fällt keinem auf. Doch es hat sich etwas verändert. Und ihr könnt, wenn ihr wollt, die Stadt nach mir absuchen. Aber in der Margaretenstraße werdet ihr mich nicht finden. Und ihr könnt mich suchen, wenn ihr wollt, in der Siebensterngasse, aber nein, da bin ich bestimmt nicht. In der Florianigasse werde ich auch nicht sein. Und in der Skodagasse, da könnt ihr es schon versuchen, aber das wird nichts bringen, das könnt ihr mir glauben.
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Vor dem Hauptportal des Zentralfriedhofs steige ich aus. Er öffnet seine Tore um sieben Uhr. Ich blicke auf mein Handgelenk. Noch fünfzehn Minuten. Ich lehne mich an einen steinernen Pfosten. Beobachte eine Nebelkrähe, die eine Walnuss aus einigen Metern Höhe auf die Straße fallen lässt. Die Schale der Nuss bricht auf. Eine Rabenkrähe lässt sich von der Friedhofsmauer gleiten. Greift den Kern mit ihren Krallen. Verschwindet mit dem Diebesgut. Mit der nächsten Walnuss fliegt die Nebelkrähe nicht so hoch. Sie muss sie fünfmal auf den Asphalt fallen lassen, bis ihre Schale zerspringt.
Der Zentralfriedhof ist der größte Friedhof Europas, vielleicht sogar der Welt. Es kommt darauf an, ob man ihn nach seiner Fläche oder nach den auf ihm begrabenen Toten beurteilt. Auf einer Tafel in der Nähe des Haupteinganges lese ich, dass er über zwei Komma fünf Millionen Quadratmeter misst. Drei Millionen Menschen hätten hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Das Gelände ist Lebensraum für viele Tiere. Auf dem Dach der Boromäus-Kirche brüten Turmfalken. Mit ein wenig Geduld und zur rechten Uhrzeit könne man Waldkäuze beobachten, die im Unterholz nach Mäusen und Feldhamstern jagen, die gerne von den Blumenkränzen naschen.
pp 97-98 from Gegen einsam by Daniela Meisel

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Wer Wien im Sommer kennt, kennt das Problem mit der U-Bahn. Wer in den letzten Jahren nie im Sommer in Wien war, muss wissen, dass es in den Wagen der Wiener U-Bahn dann etweder unfassbar heißt oder dank Klimatisierung so kalt ist, dass man sich sehr leicht verkühlt, vor allem, wenn man zuvor in einer stark aufgeheizten Bahn gesessen ist.

Dieses Problem hat Gudrun im Moment nicht. Der Wagen der Linie U4, in dem sie stehen muss, ist nicht nur überfüllt; es ist auch so heiß, dass ihr schlecht wird. Ihr Kreislauf ist ohnehin nicht gut, und der Mangel an Sauerstoff und die unfreiwillige Nähe zu anderen Menschen, deren nackte Oberarme immer wieder ihre eigenen nackten Oberarme berühren, ist kaum auszuhalten. Den Schweiß fremder Menschen zu riechen ist schlimm, ihn zu spüren tut körperlich weh. Der Gurt ihrer Gitarrentasche schneidet ihr in die Haut; sie hat Angst, dass einer der hässlichen Menschen an ihre schöne Gitarre stößt. Sie muss den Impuls unterdrücken, ihre Arme zu heben und alle von sich weg zu schieben.

An der Station Pilgramgasse drängt noch Max herein, willkommen, Max, je mehr umso besser! Max sagt, hallo Gudrun, wie geht's dir? Das ist das Schöne an Wien, sagt Gudrun, es ist wie in der Provinz, ständig trifft man seine Freunde zufällig in der U-Bahn, und sie redet weiter, weil sie die Stimme von Max jetzt nicht hören will un weil sie nicht auf seine Fragen eingehen will: Aber in der Provinz gibt es keine U-Bahn, in der Provinz, da, wo wir herkommen, da gibt es nichts, da gibt es gar nichts, und jetzt muss ich, und sie springt an der Haltestelle Kettenbrückengasse raus.
pp 12-13 from Verlass die Stadt by Christina Maria Landerl