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Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 97
Harald war Zahnarzt im Viertel und wohnte ein paar Straßen weiter, in der Martinstraße. Anna war seit vielen Jahren mit ihm befreundet, und seit sie nach einem Einbruch in ihrer Wohnung eine Nacht bei ihm verbracht hatte, hatte sich ihr Verhältnis ein wenig verändert. Harald wollte die kleine Affäre gerne verfestigen, und Anna ließ sich auch hin und wieder dazu überreden, bei ihm zu übernachten, aber irgendwie war er doch zu sehr guter Freund für eine ernsthafte Beziehung. Sie bemühten sich beide um ein freundschaftliches Verhältnis, und doch war oft eine gewisse Anspannung zu spüren.
Near fragment in time
Die Ansprachen dauerten eine kleine Ewigkeit. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Schaulustigen herab. Tausende waren an diesem heißen Julitag gekommen, um beim Eröffnungs-Spektakel dabei zu sein. Die wenigsten von ihnen konnten sich eine Fahrt mit dem Riesenrad leisten. Der Fahrpreis betrug heute am Eröffnungstag sechzehn Kronen, hatte Gustav auf einem Schild vor dem Kassenhäuschen gelesen. Für die meisten Leute war das mehr als ein Wochenlohn. Trotzdem waren die Wiener begeistert von diesem vierhundertdreißig Tonnen schweren Stahlbauwerk, das dreißig rote Kabinen in Bewegung setzen konnte.
Nachdem die Militärkapelle die Kaiserhymne "Gott erhalte, Gott beschütze unseren Kaiser, unser Land!" gespielt hatte, erklang zu Ehren der Ingenieure auch die britische Nationalhymne "God save the Queen". So manch österreichischer Patriot in den hinteren Reihen begann zu meckern. Gustav wusste, dass die Einzelteile in London angefertigt und in Wien an Ort und Stelle zusammengebaut worden waren. Seiner Meinung nach gebührte den Engländern zumindest ein kleines Dankeschön.
Nachdem der Kardinal-Erzbischof das Ungetüm gesegenet hatte, setze es sich langsam und schwerfällig in Bewegung. Unbeschreiblicher Jubel brach aus. Die Leute klatschten wie wild und renkten sich die Hälse aus, um einen Blick auf die ersten mutigen Fahrgäste zu erhaschen. Bei all dem Gedränge fiel es Gustav schwer, seinen guten Platz zu behaupten.
Ein Livrierter mit weißen Handschuhen öffente die Tür der Gondel, die vor den Ehrengästen zum Stillstand gekommen war.
pp 71-72 from Der Tod fährt Riesenrad by
Nachdem die Militärkapelle die Kaiserhymne "Gott erhalte, Gott beschütze unseren Kaiser, unser Land!" gespielt hatte, erklang zu Ehren der Ingenieure auch die britische Nationalhymne "God save the Queen". So manch österreichischer Patriot in den hinteren Reihen begann zu meckern. Gustav wusste, dass die Einzelteile in London angefertigt und in Wien an Ort und Stelle zusammengebaut worden waren. Seiner Meinung nach gebührte den Engländern zumindest ein kleines Dankeschön.
Nachdem der Kardinal-Erzbischof das Ungetüm gesegenet hatte, setze es sich langsam und schwerfällig in Bewegung. Unbeschreiblicher Jubel brach aus. Die Leute klatschten wie wild und renkten sich die Hälse aus, um einen Blick auf die ersten mutigen Fahrgäste zu erhaschen. Bei all dem Gedränge fiel es Gustav schwer, seinen guten Platz zu behaupten.
Ein Livrierter mit weißen Handschuhen öffente die Tür der Gondel, die vor den Ehrengästen zum Stillstand gekommen war.
Near fragment in space
Anna kam am 3. Dezember 1909 in Wien zur Welt und war die zweite der vier Töchter des Glasmalermeisters Franz Goetzer. Sie wuchs in der Schulgasse im Bezirk Währing auf. Dort besaß eines der mehrstöckigen Vorstadthäuser eine mächtige Durchfahrt zum weitläufigen Hinterhof, und an dessen Ende lag das Gebäude, in dem sich die Wohnung der Familie und die Werkstatt des Vaters befand. Die Wohnräume lagen ebenerdig, und der unter ihnen befindliche Keller beherbergte die Glasmalerei. Diese führte auf der Rückseite des Hauses zum tiefer gelegenen Garten hinaus. Man musste an Kaninchenställen vorbei, eine Art Korridor überwinden, oder man wand sich zwischen buntem Glas, Arbeitstischen, am murrenden Vater und seinen freundlich grüßenden Gehilfen vorbei durch die gesamte Werkstatt, um diesen Garten zu erreichen. Kaum hatte man ihn betreten, tat sich sofort sein Wunder auf. Er hatte sich im Andrängen der allmählich immer städtischer werdenden Bauvorhaben, zwischen Hausmauern, Hinterhöfen und Abladeplätzen, unerschütterlich sein verträumtes, ländliches Aussehen bewahrt. Da gab es Kieswegezwischen üppigen Blumenrabatten und Rasenflächen, Kastanienbäume überwölbten ihn von allen Seiten, einen Hügel zum Hof hin bedeckten hochwuchernde Himbeersträucher mit schmalen Pfaden dazwischen, und sogar ein „Salettl“, wie man das weißlackierte Gartenhäuschen nannte, krönte unter Fliedersträuchern und Laubschatten seine Idylle.
pp 5 from Im Schatten der Zeit by