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Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 89-90

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In einem Café trank sie eine süße Limonade, die ihren Durst mehr anfachte als stillte. Sie wäre gerne ins Gänsehäufel schwimmen gegangen, stattdessen setzte sie sich in das völlig überhitzte Auto und fuhr Richtung Polizeikommissariat. Das war wie ausgestorben, der Portier grüßte sie träge, die Gänge waren leer. Anna fuhr den PC hoch und gab in die interne Datenbank den Namen »Alfred Bachmüller« ein. Kein Treffer. Nichts. Keine Verkehrsstrafe, keine Steuergeschichte, kein Nachbarschaftsstreit. Sie loggte sich in die Datei des Meldeamtes ein und fand schließlich einen Eintrag. Alfred Bachmüller, geboren am 19. 11. 1956 in Innsbruck. Seit 1. 10. 1999 wohnhaft in Salchenberg 78, 3245, Nebenwohnsitz seit 2005: Florianigasse 45, 1080 Wien. Bei Google sah die Sache etwas anders aus. Mehrere tausend Einträge, ganz oben eine schicke, dezente Webseite: »Weingut Bachmüller«. Der Betrieb hatte ungefähr fünf Hektar Grund und produzierte 50000 Flaschen Wein im Jahr. Ausschließlich Weißweine, und fast jedes Jahr gewann Bachmüller mit seinen Weinen internationale Preise. Auf den Bildern sah man lediglich den Keller und ein paar Weinstöcke, Bachmüller selbst war auf keinem Foto zu sehen. Als Anna auf den Menüpunkt »Vertrieb« klickte, öffnete sich eine überschaubare Liste. Ganz oben standen die Weinhandlung am Wiener Gürtel und das Berliner Lokal mit dem seltsamen Namen Weder-Noch, das ihr schon in Bachmüllers Rechnungsbuch aufgefallen war. Ansonsten präsentierte sich die Liste eindrucksvoll international: Salzburg, London, Los Angeles, Paris. Am Ende der Seite stand unübersehbar ein Satz, der Anna stutzig machte: »Unsere Weine können Sie nur an den angegebenen Adressen erwerben, kleine Mengen können Sie auch per E-Mail bestellen. Kein Ab-Hof-Verkauf!« Tja, Bachmüller hatte es wohl gerne ruhig in seinem Weinviertler Dorf und keine Lust, sich von geschwätzigen Hobbysommeliers besuchen zu lassen. Die weiteren Einträge in der Suchmaschine waren Beiträge über Bachmüllers Wein oder Texte, die Bachmüller selbst publiziert hatte. Wie der Pfarrer bereits erwähnte, hatte Bachmüller eine kleine Kolumne in der Salchenberger Kirchenzeitung, die zu Annas Verwunderung auch zur Gänze im World Wide Web veröffentlicht war. Anna überflog ein paar Artikel und fand sie mäßig interessant. Sehr schwülstig, viel zu viele Adjektive, er ließ sich über den Lauf der Jahreszeiten aus, über die Kraft der Natur, die braune Erde, die grünen Reben. Bachmüller hatte fast ein wenig etwas von einem Heimatdichter, nur ein wenig zu deutsch – ohne dass Anna sagen konnte, woran sie das festmachte. Danach las sie einen Artikel über Bachmüllers Weingut. Er war 2008 im Standard-Rondo erschienen, der Hochglanz-Wochenendbeilage der Tageszeitung für Intellektuelle. Sie überflog den Text rasch, stellte fest, dass er wieder kein Foto des Verstorbenen enthielt, und druckte ihn aus.
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Er sah die Bilder von sich als Maturant, in Anzug und Masche und Brille und vor dem Bauch gefalteten Händen, deren eine einen schwarzglänzenden Zylinder hielt, von sich als Studienanfänger in der verwirrend großen Stadt Wien, die Universität für Bodenkultur beim schönen Türkenschanzpark, wo es echte Wildenten gab, von den Bars und Kaffeehäusern, die ihm schneller als etwas sonst Zuhause wurden, von Lorenz, dem Unfall mit dem gestohlenen Auto, von Lorenz bildschöner Schwester, deren Name ihm seit einiger Zeit immer wieder halb entfiel, mit der er so lange eine Affaire gehabt hatte, ohne sie doch je zurückzulieben.
pp from Roter Flieder by Reinhard Kaiser-Mühlecker

Near fragment in space

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In der Florianigasse, Höhe Lammgasse, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, als hätte ich nie hier gewohnt. In der Margaretenstraße, kurz nach dem Margaretenplatz, wenn man Richtung Innenstadt geht, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich nie hier gegessen. In der Skodagasse, da, wo die Lederergasse in sie mündet, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen. Als hätte ich hier nie getrunken. In der Siebensterngasse, da, wo die Mondscheingasse von ihr wegführt, wird getan, als wäre ich nie hier gewesen, und das war wohl schon früher so. Als hätten die Straßen zu schöne Namen für mich.

Ich weiß, es fällt keinem auf. Doch es hat sich etwas verändert. Und ihr könnt, wenn ihr wollt, die Stadt nach mir absuchen. Aber in der Margaretenstraße werdet ihr mich nicht finden. Und ihr könnt mich suchen, wenn ihr wollt, in der Siebensterngasse, aber nein, da bin ich bestimmt nicht. In der Florianigasse werde ich auch nicht sein. Und in der Skodagasse, da könnt ihr es schon versuchen, aber das wird nichts bringen, das könnt ihr mir glauben.
pp 7-8 from Verlass die Stadt by Christina Maria Landerl