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Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 389-390
Als Anna in der Berggasse angekommen war, klingelte ihr Handy. Die Büronummer. »Hey Robert. Ich bin ja schon im Haus. Ich geh nur noch schnell aufs Klo, dann komm ich hoch.« »Ich bin’s, Kratochwil. Frau Habel, machen Sie schnell. Es gibt was Neues.« Gabi Kratochwils Stimme kam leise und verhalten aus dem Telefon. Anna spürte die Aufregung der jungen Beamtin. »Ja, gleich. Ich komme.« Anna verzichtete auf die Toilette und rannte ins Büro. »Schauen Sie mal.« Gabi Kratochwil klebte fast an ihrem Bildschirm, und Anna zog sich einen Stuhl heran. Ein Schwarzweißfoto, darunter eine kleine Bildunterschrift. Karl-Heinz Poppe, zur Fahndung ausgeschrieben seit dem 25. März 1995. Besitzer eines Antiquariats in Berlin, Friedelstraße 45. Es wird vermutet, dass er circa zwei Jahre nach der Gründung in die Gruppe Revolutionärer Kampf eingetreten ist. »Jetzt schau’n Sie doch mal genau hin.« Anna konzentrierte sich und betrachtete das Gesicht des Mannes. Gabi Kratochwil hackte ein wenig auf der Tastatur ihres PCs herum, das Foto wurde kleiner, und daneben klappte das Bild Freddy Bachmüllers auf. Anna fiel es wie Schuppen von den Augen. Die hohe Stirn, die geschwungenen Lippen. Karl-Heinz Poppe trug einen fusseligen Bart und lange Haare, er blickte direkt in die Kamera, und seine Haut wirkte unnatürlich blass. Daneben Bachmüller. Haare kurz, Gesicht voller, die gleichen Lippen, es war eindeutig. Gesünder und attraktiver, doch ohne Zweifel: Vor ihnen lag zweimal das Porträt von Freddy Bachmüller alias Karl-Heinz Poppe. »Mensch, Frau Kratochwil, das ist der Hammer! Wo haben Sie das denn her?« »Da hat ein Herr Bernhardt aus Berlin angerufen, der hat irgendwas von einer DNA gesagt und dass sie jetzt eine Identität haben. Und dann hat er dieses Bild geschickt.« »Unglaublich. Ein untergetauchter Terrorist im Weinviertel. Ich fass es nicht. Wo ist denn Kolonja?« »Im Verhörzimmer mit Uschi Mader.« »Immer noch?« »Ja, die kam erst so spät hier an. Anzengruber hat sich ein wenig quergestellt.« »Tja, der arme Winkeladvokat hat wohl wenig Erfahrung mit Suchtgiftdelikten. Aber ich glaube, als Mordverdächtige können wir sie laufen lassen, das war ja wohl eine Nummer größer. Mailen Sie gleich mal alles, was Sie da aus Berlin bekommen haben, an Hofrat Hromada und – Frau Kratochwil?« »Ja, Frau Habel?«
Near fragment in time
Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by
Near fragment in space
Kriminalgruppeninspektor Leopold W., 38, wurde nach einem Trinkgelage gegen 1.30 Uhr völlig unbekleidet vor der Servitenkirche im 9. Wiener Gemeindebezirk aufgegriffen. Schlafende Anrainer waren von W. obszön beschimpft und lautstark zum gemeinsamen Selbstmord aufgefordert worden.
pp 18 from Der Fall des Lemming by