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Die Arbeit der Nacht - pp 100-

Auf dem Weg zum Frachtenbahnhof Matzleinsdorf, wo sich der Maschinenpark Süd befand, kam er an der Kirche am Mariahilfer Gürtel vorbei. Im Vorbeifahren las er das Transparent, das an ihrer Außenfront festgemacht war: Es gibt einen, der dich liebt - Jesus Christus. Er stieg fester auf das Gaspedal.
Near fragment in time

In einem Café trank sie eine süße Limonade, die ihren Durst mehr anfachte als stillte. Sie wäre gerne ins Gänsehäufel schwimmen gegangen, stattdessen setzte sie sich in das völlig überhitzte Auto und fuhr Richtung Polizeikommissariat. Das war wie ausgestorben, der Portier grüßte sie träge, die Gänge waren leer. Anna fuhr den PC hoch und gab in die interne Datenbank den Namen »Alfred Bachmüller« ein. Kein Treffer. Nichts. Keine Verkehrsstrafe, keine Steuergeschichte, kein Nachbarschaftsstreit. Sie loggte sich in die Datei des Meldeamtes ein und fand schließlich einen Eintrag. Alfred Bachmüller, geboren am 19. 11. 1956 in Innsbruck. Seit 1. 10. 1999 wohnhaft in Salchenberg 78, 3245, Nebenwohnsitz seit 2005: Florianigasse 45, 1080 Wien. Bei Google sah die Sache etwas anders aus. Mehrere tausend Einträge, ganz oben eine schicke, dezente Webseite: »Weingut Bachmüller«. Der Betrieb hatte ungefähr fünf Hektar Grund und produzierte 50000 Flaschen Wein im Jahr. Ausschließlich Weißweine, und fast jedes Jahr gewann Bachmüller mit seinen Weinen internationale Preise. Auf den Bildern sah man lediglich den Keller und ein paar Weinstöcke, Bachmüller selbst war auf keinem Foto zu sehen. Als Anna auf den Menüpunkt »Vertrieb« klickte, öffnete sich eine überschaubare Liste. Ganz oben standen die Weinhandlung am Wiener Gürtel und das Berliner Lokal mit dem seltsamen Namen Weder-Noch, das ihr schon in Bachmüllers Rechnungsbuch aufgefallen war. Ansonsten präsentierte sich die Liste eindrucksvoll international: Salzburg, London, Los Angeles, Paris. Am Ende der Seite stand unübersehbar ein Satz, der Anna stutzig machte: »Unsere Weine können Sie nur an den angegebenen Adressen erwerben, kleine Mengen können Sie auch per E-Mail bestellen. Kein Ab-Hof-Verkauf!« Tja, Bachmüller hatte es wohl gerne ruhig in seinem Weinviertler Dorf und keine Lust, sich von geschwätzigen Hobbysommeliers besuchen zu lassen. Die weiteren Einträge in der Suchmaschine waren Beiträge über Bachmüllers Wein oder Texte, die Bachmüller selbst publiziert hatte. Wie der Pfarrer bereits erwähnte, hatte Bachmüller eine kleine Kolumne in der Salchenberger Kirchenzeitung, die zu Annas Verwunderung auch zur Gänze im World Wide Web veröffentlicht war. Anna überflog ein paar Artikel und fand sie mäßig interessant. Sehr schwülstig, viel zu viele Adjektive, er ließ sich über den Lauf der Jahreszeiten aus, über die Kraft der Natur, die braune Erde, die grünen Reben. Bachmüller hatte fast ein wenig etwas von einem Heimatdichter, nur ein wenig zu deutsch – ohne dass Anna sagen konnte, woran sie das festmachte. Danach las sie einen Artikel über Bachmüllers Weingut. Er war 2008 im Standard-Rondo erschienen, der Hochglanz-Wochenendbeilage der Tageszeitung für Intellektuelle. Sie überflog den Text rasch, stellte fest, dass er wieder kein Foto des Verstorbenen enthielt, und druckte ihn aus.
pp 89-90 from Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien by
, Near fragment in space

Bei diesem Job hat jedes Gesicht eine Nummer, das ist das Schöne daran, so bleiben die möglichen Schicksale namenlos. In den ersten Tage hatte ich noch einen Karteikasten in meinem Kopf, in den ich jedes dieser Gesichter einordnete: Nutte, Freier, Fixer, dummes Kind. Bei manchen war ich ratlos. Damit habe ich inzwischen aufgehört, genauso wie ich aufgehört habe, mich jedes Mal, wenn ich aus der U-Bahn-Station komme, zu wundern, wie selbstbewusst man das große Hinweisschild mit dem Schriftzug ‚Aids-Hilfe‘ an das sonst so unscheinbare Eckhaus gehängt hat und wie ebenso selbstbewusst die Leute durch die Tür gehen, durch die ich anfangs bloß mit gebeugtem Nacken gehen konnte, und auch nur dann, wenn ich sonst niemanden auf der Straße sah.
In jeder Pause sitze ich auf den Treppenstufen vom ersten in den zweiten Stock, sieben nach oben, gerade so weit um die Biegung, dass mich niemand sieht, der im ersten die Tür öffnet. Hier herauf kommen nur die Angestellten und die Mitglieder der Selbsthilfegruppen. Einmal habe ich ein Mädchen beobachtet, das unten vor der Tür zur Anmeldung stand, dreimal die Treppe wieder runterstieg, um dann doch hineinzugehen.
"Formular her", keife ich nach der Mittagspause wieder, reiße den Zettel über den für mich zu großen Schreibtisch hinweg an mich und beginne in meinen Computer zu hacken. Ich stelle alle Fragen auf einmal, so wie ich es laut Anweisung auf keinen Fall tun darf. Mein Gegenüber weiß nicht, wie ihm geschieht.
"Nehmen Sie das nächste Mal einen Gummi, Sie Kleinspurmacho, verdammt noch mal! Draußen hinsetzen! Schämen!" Der Mann vor mir duckt sich. Ich beachte kurz interessiert seine Halbglatze. "Schämen!", schreie ich ihm noch mal nach, als er durch die Tür in das Wartezimmer geht. Einer der Wartenden hebt kurz den Kopf und fixiert mich, ich starre auf ein Lichtquadrat am Boden, bis die Tür wieder zufällt. Ich will sie alle nicht mehr sehen.
pp 31-32 from Chucks by
In jeder Pause sitze ich auf den Treppenstufen vom ersten in den zweiten Stock, sieben nach oben, gerade so weit um die Biegung, dass mich niemand sieht, der im ersten die Tür öffnet. Hier herauf kommen nur die Angestellten und die Mitglieder der Selbsthilfegruppen. Einmal habe ich ein Mädchen beobachtet, das unten vor der Tür zur Anmeldung stand, dreimal die Treppe wieder runterstieg, um dann doch hineinzugehen.
"Formular her", keife ich nach der Mittagspause wieder, reiße den Zettel über den für mich zu großen Schreibtisch hinweg an mich und beginne in meinen Computer zu hacken. Ich stelle alle Fragen auf einmal, so wie ich es laut Anweisung auf keinen Fall tun darf. Mein Gegenüber weiß nicht, wie ihm geschieht.
"Nehmen Sie das nächste Mal einen Gummi, Sie Kleinspurmacho, verdammt noch mal! Draußen hinsetzen! Schämen!" Der Mann vor mir duckt sich. Ich beachte kurz interessiert seine Halbglatze. "Schämen!", schreie ich ihm noch mal nach, als er durch die Tür in das Wartezimmer geht. Einer der Wartenden hebt kurz den Kopf und fixiert mich, ich starre auf ein Lichtquadrat am Boden, bis die Tür wieder zufällt. Ich will sie alle nicht mehr sehen.