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Veruntreute Geschichte. Die Wiener Salons und Literatencafés - pp 99
Es war ein in memoriam, gemischt aus Grimm und Wehmut, als Anton Kuh seinen kämpferischen Nachruf auf das Café Central mit der Feststellung verband, daß im November 1918, während auf dem Balkon des landhauses in der Wiener Herrengasse die Republik Österreich ausgerufen wurde, im Wiener Geistesleben zugleich eine stürmisch-erneuernde Sezession stattfand. Man kann es bei ihm nachlesen: "Bibiana Amon, die Strahlende, als Gretchen von Peter Altenberg entdeckt, aber nun schon zur Helena erblüht, stand auf der obersten der drei Eingangsstufen des "Central", blickte zum Gewühl beim Landhaus, sah ihre Geliebten mitten darin und rief: Gib acht, Anton! Die Revolution!" Wenige Tage später "saß alles, was politisch und erotisch revolutionär gesinnt war" zwei Häuser weiter im kurz zuvor neu eröffneten Café Herrenhof - "Die Mumien blieben im Alten" und, fügte Kuh hinzu: "Die Scheidung war folgerichtig."
Near fragment in time
Um Indizien zu sammeln, wollte ich meine Großmutter besuchen und ging, da die Sonne schien, den Weg in die Heumühlgasse zu Fuß. Im Waldmüllerpark, und zwar in der Nähe des Friedhofs, wurde mir in frappanter Weise bewusst, wie groß die Kerzen an den Kastanienbäumen schon waren. Natürlich war mir das alle Jahre wieder aufgefallen, aber es war mir noch nie so bewußt geworden wie jetzt. Und dann hatte ich plötzlich das Bedürfnis, meine frühesten Erinnerungen nach meinem Vater zu durchsuchen.
pp 27 from Die keine Figur meines Vaters by
Near fragment in space
Sie trafen sich an jedem zweiten Dienstag im Monat um Punkt fünf Uhr nachmittags im Café Central - es sei denn, dieser Dienstag wäre auf einen christlichen oder jüdischen Feiertag gefallen: dann wurde das Treffen eben am darauffolgenden Donnerstag nachgeholt. Sie trafen sich, um Tarock zu spielen (wenn sie einen vierten Mann dafür fanden, denn sie spielten grundsätzlich nur zu viert) oder um gemeinsam über philosophische Fragen zu brüten. "Entweder tarockieren oder philosophieren", lautete ihr Wahlspruch, "am End' is' eh alles wurscht." Passten sie eigentlich ins Café Central, hätte man sie ohne Weiteres hier vermutet? Diese Frage dürfen wir getrost verneinen. Das Café Central liegt, wie wir aus berufenem Munde wissen, "unterm Wienerischen Breitengrad am Meridian der Einsamkeit"; genauer gesagt befindet es sich - und das schon seit Generationen - im Innenhof des Palais Ferstel und sieht für ein Wiener Etablissement verdächtig orientalisch aus: Kreuzbögen, hohe Säulen, viele Ornamente, viel Gold, überhaupt sehr bunt, rote runde Marmortische - der Kenner hätte das Café Central exakt 243 Straßenkilometer weiter östlich platziert, also eher im schönen Budapest als hier in der Reichshauptstadt.
pp 129 from Der Komet by