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Das Vaterspiel - pp 260-261

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Ich habe Frau Grlovic nie wieder gesehen. Es gab kein Gespräch mit ihr, jedenfalls nicht in unserem Haus. Viel-leicht hat mein Vater sie telefonisch entlassen, oder sie ist von selbst nicht mehr erschienen. Andere Medien griffen das Thema auf. Der Anlass war die Schwarzarbeit, aber der Schwerpunkt der Berichte verlagerte sich immer mehr auf die Einkommensverhältnisse meines Vaters. Ich las die Zeitungen im Café Maximilian. Als ich jedoch die Maoisten-gruppe die Universitätsstraße überqueren sah, ließ ich mei-ne Melange stehen und flüchtete auf die Toilette. Nach einer Weile kam ich heraus und ging, ohne links oder rechts zu schauen, direkt auf den Oberkellner zu, um zu zahlen. Ich setzte meine Lektüre im Café Eiles fort. In den Zeitun-gen waren alle Aufsichtratsposten aufgelistet, die mein Vater innehatte, und daneben standen die Beträge, die er angeblich dafür bekam. Eine Zeitung hatte recherchiert, wie oft er an welchen Sitzungen teilgenommen hatte. Wie-terhin erfuhr ich, dass ihm nicht nur sein Ministerbüro, sondern angeblich noch zwei zusätzliche Büros zur Verfü-gung standen, eines in der Zentrale der verstaatlichten In-dustrie und eines in der Direktionsetage einer Bank. Ich hatte gewusst, dass er an vielen Aufsichtsratssitzungen teil-nahm, aber ich hatte von den Details seiner Nebenge-schäfte und von seinen zusätzlichen Einkommen keine Ah-nung gehabt. Mehrere Tage hintereinander war mein Vater in den Fernsehnachrichten zu sehen, es ging immer um dieselben Themen. Er versuchte sich zu verteidigen. Als das Arbeitsverhältnis von Frau Grlovic begann, sei es noch unter die Geringfügigkeitsgrenze gefallen, und es habe gar keinen Grund gegeben, sie anzumelden. Er sei so mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen, dass es ihm völlig entgangen sei, dass sie nun öfter in unser Haus komme.
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Near fragment in time

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Er fand es großartig, ehe er in orkanartigen Husten ausbrach. Wie der Erfolgsautor der "Elementarteilchen", den ich im Rabenhoftheater bei einer Lesung erlebt hatte, hatte dieser Patient einen unverkennbaren Modus zu rauchen. Und wie jener hatte er die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger gepresst, so dass dem Glimmstängel, wäre es ein Mensch gewesen, gewiss die Luft weggeblieben wäre. Houllebecq hatte seine Nikotinsucht, seinen schweren Alkoholismus sowie pathologischen Sexismus durch eine konservativ gekleidete Dolmetscherin pluralistisch, nihilistisch und obszön von der Rabenhof-Bühne aus verkündet.
pp 35 from Herzlos by Monika Wogrolly

Near fragment in space

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Er betrat auf der Alserstraße direkt neben der Beethovenkirche ein Stehkaffee und bestellte sich eine Schale Gold, ehe er sich, während er auf das Heißgetränk wartete, eine Zigarette anzündete. Am Nebentisch unterhielten sich flüsternd zwei Arbeiter. An Bronsteins Ohr drangen nur einzelne Gesprächsfetzen.
"... der Hitler lasst uns ned hängen. Der kommt, wirst sehen!"
"... aber die Volksabstimmung ..."
"Wirst sehen, die is´ wurscht. Zur Not gibt´s halt an Putsch. Ein erfolgreichen diesmal. Und dann sand´s weg, die ganzen Ostler. Wien wird judenrein, das sag´ ich Dir."
Der zweite Arbeiter, der eben noch skeptisch und bedrückt gewirkt hatte, richtete sich auf. Um eine Nuance lauter sagte er: "Ma, des warat sche. Endlich weg mit de Gfraster. Juden, Zigeiner, Monarchisten, Sozialisten, Kommunisten, Christen, Hahnenschwanzler, ... olle weg! Waun I kenntat, wia I wolltat, I schoffat des ollas o. Heit no."
Bronstein fühlte eine tiefgreifende Übelkeit in sich aufsteigen. In großen Schlucken trank er seinen Kaffee aus und flüchtete sodann eilends aus dem Lokal. Er passierte das Landesgericht, überquerte die Zweierlinie und hielt auf die Universität zu. Dort hielten die politischen Manifestationen an, und in Bronstein machte sich allmählich Panik breit. Immer schneller ging er, bis er am Ring schon fast ins Laufen kam. Beinahe ohne auf den Verkehr zu achten, wechselte er die Straßenseite und befand sich endlich vor dem Präsidium.
pp 102-103 from Zores by Andreas Pittler