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Zores - pp 102-103

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Er betrat auf der Alserstraße direkt neben der Beethovenkirche ein Stehkaffee und bestellte sich eine Schale Gold, ehe er sich, während er auf das Heißgetränk wartete, eine Zigarette anzündete. Am Nebentisch unterhielten sich flüsternd zwei Arbeiter. An Bronsteins Ohr drangen nur einzelne Gesprächsfetzen.
"... der Hitler lasst uns ned hängen. Der kommt, wirst sehen!"
"... aber die Volksabstimmung ..."
"Wirst sehen, die is´ wurscht. Zur Not gibt´s halt an Putsch. Ein erfolgreichen diesmal. Und dann sand´s weg, die ganzen Ostler. Wien wird judenrein, das sag´ ich Dir."
Der zweite Arbeiter, der eben noch skeptisch und bedrückt gewirkt hatte, richtete sich auf. Um eine Nuance lauter sagte er: "Ma, des warat sche. Endlich weg mit de Gfraster. Juden, Zigeiner, Monarchisten, Sozialisten, Kommunisten, Christen, Hahnenschwanzler, ... olle weg! Waun I kenntat, wia I wolltat, I schoffat des ollas o. Heit no."
Bronstein fühlte eine tiefgreifende Übelkeit in sich aufsteigen. In großen Schlucken trank er seinen Kaffee aus und flüchtete sodann eilends aus dem Lokal. Er passierte das Landesgericht, überquerte die Zweierlinie und hielt auf die Universität zu. Dort hielten die politischen Manifestationen an, und in Bronstein machte sich allmählich Panik breit. Immer schneller ging er, bis er am Ring schon fast ins Laufen kam. Beinahe ohne auf den Verkehr zu achten, wechselte er die Straßenseite und befand sich endlich vor dem Präsidium.
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Anna kam am 3. Dezember 1909 in Wien zur Welt und war die zweite der vier Töchter des Glasmalermeisters Franz Goetzer. Sie wuchs in der Schulgasse im Bezirk Währing auf. Dort besaß eines der mehrstöckigen Vorstadthäuser eine mächtige Durchfahrt zum weitläufigen Hinterhof, und an dessen Ende lag das Gebäude, in dem sich die Wohnung der Familie und die Werkstatt des Vaters befand. Die Wohnräume lagen ebenerdig, und der unter ihnen befindliche Keller beherbergte die Glasmalerei. Diese führte auf der Rückseite des Hauses zum tiefer gelegenen Garten hinaus. Man musste an Kaninchenställen vorbei, eine Art Korridor überwinden, oder man wand sich zwischen buntem Glas, Arbeitstischen, am murrenden Vater und seinen freundlich grüßenden Gehilfen vorbei durch die gesamte Werkstatt, um diesen Garten zu erreichen. Kaum hatte man ihn betreten, tat sich sofort sein Wunder auf. Er hatte sich im Andrängen der allmählich immer städtischer werdenden Bauvorhaben, zwischen Hausmauern, Hinterhöfen und Abladeplätzen, unerschütterlich sein verträumtes, ländliches Aussehen bewahrt. Da gab es Kieswegezwischen üppigen Blumenrabatten und Rasenflächen, Kastanienbäume überwölbten ihn von allen Seiten, einen Hügel zum Hof hin bedeckten hochwuchernde Himbeersträucher mit schmalen Pfaden dazwischen, und sogar ein „Salettl“, wie man das weißlackierte Gartenhäuschen nannte, krönte unter Fliedersträuchern und Laubschatten seine Idylle.
pp 5 from Im Schatten der Zeit by Erika Pluhar

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Mimi war noch irgendwo verabredet und musste gehen. Ich bot ihr an, den Kaffee zu zahlen, sie ließ es nicht zu. Sie schrieb ihre neue Adresse auf eine Serviette: Mondscheingasse. Sie sagte, das sei eine Seitengasse von der Neubaugasse, zwischen Mariahilfer Straße und Burggasse. Ich solle bei Safranski klingeln. Sie schrieb mir auch diesen Namen auf die Serviette. Zum Abschied gaben wir uns die Hand.
Bis nächste Woche, sagte ich.
Sie antwortete: Wenn der Vormieter bis dahin seine Sachen abholt. Wahrscheinlich sehen wir uns vorher noch am Institut.
Ich sah sie an den Fenstern vorbeigehen, hinunter Richtung Votivkirche. Ich blieb noch ein wenig sitzen, dann fuhr ich zu meinem Großvater in den Stadtteil Meidling. Als wir noch in der Nähe im Gemeindebau gewohnt hatten, war ich oft, wenn er etwas Handwerkliches getan, zum Beispiel die Wohnung ausgemalt hatte, bei ihm gewesen. Mein Wiener Großvater machte alles selbst. Er hatte auch die meisten Möbel selbst hergestellt. Dabei hatte er keinen großen Kellerraum zur Verfügung. Er schob im Wohnzimmer den Esstisch zur Seite, rollte den Teppich ein, legte auf dem Fußboden Zeitungen aus und stellte Zimmerböcke darauf. Das war seine ganze Werkstatt, Zimmerböcke im Wohnzimmer. Darauf wurde gebohrt, gesägt, gehämmert, geschraubt, gekittet und gestrichen. Nichts stellte er auf dem Boden ab. Alles ruhte immer auf den Zimmerböcken. Und wenn er ausmalte, verwendete er, um die Decke zu erreichen, nicht eine Leiter, sondern stellte auch dafür die Zimmerböcke auf und legte ein dickes Brett darüber. Als Kind hatte ich ihn einmal gefragt, warum diese Dinger Böcke heißen, und er hatte geantwortet, weil sie vier Beine haben, einen Kopf und einen Schwanzstummel, wie Böcke eben.
pp 181-182 from Das Vaterspiel by Josef Haslinger