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Im Schatten der Zeit - pp 5

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Anna kam am 3. Dezember 1909 in Wien zur Welt und war die zweite der vier Töchter des Glasmalermeisters Franz Goetzer. Sie wuchs in der Schulgasse im Bezirk Währing auf. Dort besaß eines der mehrstöckigen Vorstadthäuser eine mächtige Durchfahrt zum weitläufigen Hinterhof, und an dessen Ende lag das Gebäude, in dem sich die Wohnung der Familie und die Werkstatt des Vaters befand. Die Wohnräume lagen ebenerdig, und der unter ihnen befindliche Keller beherbergte die Glasmalerei. Diese führte auf der Rückseite des Hauses zum tiefer gelegenen Garten hinaus. Man musste an Kaninchenställen vorbei, eine Art Korridor überwinden, oder man wand sich zwischen buntem Glas, Arbeitstischen, am murrenden Vater und seinen freundlich grüßenden Gehilfen vorbei durch die gesamte Werkstatt, um diesen Garten zu erreichen. Kaum hatte man ihn betreten, tat sich sofort sein Wunder auf. Er hatte sich im Andrängen der allmählich immer städtischer werdenden Bauvorhaben, zwischen Hausmauern, Hinterhöfen und Abladeplätzen, unerschütterlich sein verträumtes, ländliches Aussehen bewahrt. Da gab es Kieswegezwischen üppigen Blumenrabatten und Rasenflächen, Kastanienbäume überwölbten ihn von allen Seiten, einen Hügel zum Hof hin bedeckten hochwuchernde Himbeersträucher mit schmalen Pfaden dazwischen, und sogar ein „Salettl“, wie man das weißlackierte Gartenhäuschen nannte, krönte unter Fliedersträuchern und Laubschatten seine Idylle.
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Der Lärm der einfahrenden U-Bahn unterbrach das Gespräch. Marc blickte auf seine Uhr. Exakt dieselbe Zeit wie am Dienstag, dachte er zufrieden. Für ihn war es wichtig, einen Lokalaugenschein zu denselben Bedingungen durchzuführen, die zur Tatzeit gegeben waren. Die drei Ermittler folgten dem Menschenstrom, der die U-Bahn verlassen hatte und sich Richtung Ausgang bewegte. Martin notierte die Gehzeiten. Sie verließen die Station und wandten sich auf dem Gehsteig der Wagramer Straße nach rechts. Auf diesem Straßenabschnitt gab es keine Haltemöglichkeit für Kraftfahrzeuge. Sie folgten dem Straßenverlauf und bogen nach 400 Metern in die Lieblgasse ein. Wachsam, auf jede Kleinigkeit achtend, schritten die Polizisten den Heimweg von Maricela Rodriguez ab. Sie hatten im War Room die Straßenkarte studiert. Erst nahmen sie den direkten Weg. Sie gingen die Lieblgasse hinunter und bogen nach links in die Silenegasse ein. Am Wohnblock von Maricela angekommen, begaben sie sich zum Hinterausgang. Den Rückweg nahmen sie über die Maculangasse, eine Parallelstraße zur Lieblgasse. Nach 300 Metern bogen sie in die Puchgasse ein, die in die Lieblgasse mündete. Sie hatten etwa 100 Meter der rund 250 Meter langen Gasse zurückgelegt, als Marc Vanhagen stoppte. Er drehte sich um, besah sich die Umgebung und ging auf die andere Straßenseite. Dort bleib er wieder stehen und beobachtete konzentriert die Umgebung. "Was ist euch aufgefallen?", fragte Marc seine Kollegen, die ihm gefolgt waren. "Auf der rechten Seite der Lieblgasse stehen hohe Bäume, und einige Meter nach hinten versetzt reihen sich fünfstöckige Wohnblöcke aneinander", sagte Martin. "Auf der linken Seite befinden sich ausschließlich betrieblich genutzte Gebäude. Die Straßenbeleuchtung ist ausreichend, um gut zu sehen. Aber nur eine Handvoll Fußgänger und wenige Autos sind unterwegs." "Links und Rechts der Fahrbahn sind Autos abgestellt, aber es gibt auch einige Parklücken", ergänzte Nicole. "Das heißt, dass viele Menschen in diesen Betrieben arbeiten und nach Dienstschluss mit dem Auto nach Hause fahren. Die Silenegasse ist eine gut beleuchtete Wohnstraße mit regem Fußgängerverkehr." "Die Maculangasse führt durch ein reines Gewerbegebiet, ist aber sehr gut beleuchtet", sagte Martin. "An den Eingangstoren von zwei Firmen sind mir Überwachungskameras aufgefallen." [...] Sie zeigte mit der Hand auf ein hell erleuchtetes Gebäude auf der rechten Seite der Puchgasse. "100 Meter von einer Polizeiinspektion entfernt eine Frau in ein Fahrzeug zu zerren, scheint mir sehr gewagt."
pp 108-110 from Canard Saigon by Harald Friesenhahn

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Anna ließ ihren jungen Kollegen bei der U6-Station Spittelau aussteigen, er wohnte irgendwo auf der anderen Seite der Donau, in Transdanubien, wie der Wiener so schön sagt. Diese Stadtteile, Bezirke wie Floridsdorf und Donaustadt, waren für Anna ziemliches Fremdland. Kurz bevor sie in die Währinger Straße stadtauswärts in Richtung ihrer Wohnung bog, entschloss sie sich doch noch, auf einen Abstecher ins Präsidium zu fahren. Florian war ja nicht zu Hause, der Kühlschrank gähnend leer und in ihrem Wohnzimmer hatte es sicher 35 Grad. Da konnte sie genauso gut noch einen kurzen Blick in Bachmüllers Unterlagen werfen. Die Aktenordner standen in einer Reihe nach Jahreszahlen geordnet an der Wand. Einige Dokumente lagen in kleinen Stapeln auf dem Tisch, versehen mit bunten Post-its, auf denen in penibler Schulmädchenschrift diverse Zahlen notiert waren. Gabi Kratochwil war anscheinend ein ordnungsliebender Mensch, die Schrift war definitiv nicht von Robert Kolonja. Ein elegantes kleines Moleskine-Adressbüchlein, eine Brieftasche und ein schwarzer Kalender lagen daneben. Das ist alles, was von einem Leben übrig bleibt, dachte Anna und blätterte im Adressbuch, in denen sich kaum Einträge fanden. Ein paar Nummern in Salchenberg – der Pfarrer Norbert Wieser, das Gemeindeamt, ein paar Nachbarn, das Raiffeisen-Lagerhaus im Nachbarort. Kaum Nummern aus Wien, keine ausländischen Telefonnummern, keine anderen Bachmüllers, keine Frauenvornamen. Der Kalender war ähnlich unergiebig. Anna holte sich ein Glas Wasser und schlug wahllos einen Aktenordner auf. Eingangsrechnungen von Flaschenankäufen, ein paar landwirtschaftliche Geräte, eine Rechnung über mehrere Tonnen Biomist. Plötzlich blieb ihr Blick auf einer Rechnung aus dem Jahr 2008 haften. Ausgestellt vom Biowein Bachmüller an die Weder-Noch-OHG in Berlin. Dass Bachmüller seinen Wein an dieses Lokal verkauft hatte, wusste Anna bereits, doch was sie stutzig machte, war der Betrag, den er dafür in Rechnung stellte. Sage und schreibe eine halbe Million Euro, zahlbar innerhalb von zehn Tagen. Da stimmt doch was nicht, wie viel Wein kann man denn liefern, um 500000 Euro zu kassieren? Auch wenn es teurer Wein war, aber so viel konnte so ein kleiner Winzer doch gar nicht produzieren! Anna nahm sich noch einen weiteren Ordner und nach etwa einer halben Stunde hatte sie noch eine Rechnung ans Weder-Noch, diesmal aus dem Jahre 2007 über 300000 Euro.
pp 147-148 from Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien by Petra Hartlieb, Claus-Ulrich Bielefeld