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Therese. Chronik eines Frauenlebens - pp 85

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Der Frühling kam heran, und am zweiten Osterfeiertage, früh am Nachmittag, erwartete Therese auf dem Stefansplatz die Gouvernante eines den Eppichs befreundeten Hauses, eine gutmütige, ziemlich verblühte Person, für die sie vom ersten Augenblick an nicht so sehr Freundschaft als Mitleid empfunden hatte. Das Fräulein ließ auf sich warten, und Therese vergnügte sich indes damit, die Vorübergehenden zu betrachten, die an diesem milden blauen Feiertag, alle wie von Sorgen befreit, irgendeinem heiteren Ziele zuzustreben schienen. An Liebespaaren war kein Mangel; Therese, ohne daß sich gerade Neid in ihr regte, empfand es als etwas lächerlich, daß sie hier nicht einen Liebhaber, sondern eine ältliche Gouvernante erwartete, mit der sie durch keinerlei Gemeinsamkeit als durch die Ähnlichkeit des Berufs verbunden war; und es wurde ihr vor dem bevorstehenden, voraussichtlich langweiligen Nachmittag, den sie mit ihr verbringen sollte, beinahe ängstlich zumut.
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Near fragment in time

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Im Trubel der Geschehnisse hatte Ralph den Vorsatz, sich für diese »Bereitschaft« zu interessieren, vergessen. Jetzt aber, losgelöst von hundert überflüssigen gesellschaftlichen Pflichten, in der Isoliertheit eines Menschen, der aufgehört hat, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, kam ihm die Erinnerung an den Aufsatz des A. P., der ihn damals so tief ergriffen hatte. Und er begab sich eines Tages ins Café Central und frug seinen Freund Kriegel, der mit stoischer Ruhe der ersten Aufführung seiner Judastragödie entgegensah, ob er Näheres über die »Bereitschaft« wisse.
Dr. Kriegel hob wortlos seinen schweren Oberkörper aus dem bequemen Lehnsessel, zog die Pfeife aus dem Munde, so daß das Lächeln, das die letzten Worte des Amerikaners begleitet hatte, noch deutlicher wurde, entschuldigte sich für einige Augenblicke und ging ans Telephon.
»18766 ...Hallo! Hier Kriegel! Lieber Freund, Sie müssen sofort ins Café Central kommen. Es handelt sich um die ›Bereitschaft‹. Ich erwarte Sie.«
pp 0 from Der Kampf um Wien by Hugo Bettauer

Near fragment in space

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Eines Tages als ich im Vorübergehen mich am Ende des Stephansplatzes, daher noch in ziemlicher Entfernung befand, erblickte ich an einem Fenster des mir wichtigen Hauses und dritten Stockwerks etwas Weißes, das ebenso gut ein Mann als eine Frau oder wohl gar ein Stück aufgehängte Wäsche sein konnte. Im nächsten Augenblicke aber sah ich die Züge der Frau mit einer solchen Porträtähnlichkeit, daß ich sie unmittelbar auf Elfenbein oder Leinwand hätte bringen können. Das hat in mir die Vermutung hervorgebracht, daß meine Kurzsichtigkeit nicht von einer Beschaffenheit der Linse, sondern von einer Schwäche des Augennervs herrühre, die sich durch Aufregung und Zuströmen des Blutes für Momente verliert. Diese Schwäche meines Auges, dem schwache Gläser nicht helfen und das scharfe nicht verträgt, hat beigetragen mich vom Besuche des Theaters immer mehr und mehr, und endlich ganz zu entwöhnen. Seit mehr als zehn Jahren besuche ich keines mehr.
pp 139-140 from Selbstbiographie by Franz Grillparzer