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Die freudlose Gasse - pp 38
Der Redakteur des >>Wiener Herold<<, Otto Demel, ging in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Doktor Heinrich Leid auf und ab, während dieser vor seinem Schreibtisch saß und düster vor sich hin stierte. Die weitläufigen Bureauräume befanden sich in einem Haus an der Ecke der Goldschmiedgasse und des Stephansplatzes, und wenn Demel beim Fenster stehen blieb, sah er den majestätischen Dom vor sich, den Graben mit seinem Menschen- und Wagengewimmel unter sich.
Near fragment in time
Deß zum Zeichen erhebt sich noch heute aus Zeiten vor einer anständigen Jahreszählung und Stadtchronik der sogenannte "Stock im Eisen". Das war einmal ein wichtiger alter Baum, eine Esche, eine Eicher oder so etwas, der stand mitten in der Stadt mit ihren Ringmauern, einen guten Steinwurf weit von dem Platz, auf dem sich heute der "Steffel" (Stephansdom) erhebt. Wirklich, dieser Struk steht heute noch da, mit Eisenbändern an den Marmorblock geschmiedet, der zum Fundament eines modernen Riesengebäudes gehört. Fremde kommen ihn sehen. Er ist von Eisentragen verbessert, wo er aus Alter und Schwere einknicken will. Aus Schwere: denn er ist über und über mit Eisennägeln beschlagen, dicht aneinander, wie von einem Klitterpanzer, und von dieser Haut ist er, neben dem Alter wie durch einen Anähnlichungsprozesß durch- und durchgeeisent. Er steht also auf einem Sockel in einer Nische. In dem Gebäude haust eine große Bank - in jeder Ecke haust heute natürlich eine Bank, früher waren es Cafes, hier entstanden die Banken an kleinen Tischchen bei langen Geschäftsgesprächen - und ein Reisebüro. Nämlich, der Baum im Eisen bekam soviel Nägel, weil jeder Handwerksbursch verhalten war, dort einen hineinzutreiben, wenn er Wien passierte; es war das ein religiöses Gleichnis und irgend ein heiliger Fluch wurde dabei gemurmelt. Aus der Schwere des Baumes im Eisen mag man nun erwägen, wie Viele ihrer da vorbeigekommen sein mögen.
pp 104-105 from Wien by
Near fragment in space
Im Kaufhaus Steffl in der Kärtnerstraße fuhr er mit dem Außenlift nach oben. [...] Hinter dem Tresen der Sky-Bar mixte er sich einen Cocktail. [...] Er setzte sich auf die Terasse. Von hier hatte er einen geradezu familiären Blick über die Innenstadt. Vor ihm ragte der Stephansdom auf. Die Bronzedächer ringsum glänzten in der sinkenden Sonne. Früher war er mit Marie oft hiergewesen. Das schicke Stammpublikum ließ sie von Zeiten träumen, in denen sie reich sein und sich dem Nichtstun ergeben würde, und sie schwärmte vom Weißwein, der ausgeschenkt wurde. Jonas hatte weder für die flotten jungen Leute etwas übriggehabt, noch Maries Begeisterung für den Wein teilen können, denn er trank keinen. Aber es hatte ihm beschauliche Zuversicht bereitet, hier mit ihr zu sitzen, am frühen Nachmittag, wenn das Lokal schwach besucht war und wenn am nächsten Tag eine Reise für sie bevorstand. In Ruhe auf der hölzernen Terasse den gedämpften Geräuschen der Stadt zu lauschen, den Blick auf die alte Kirche gerichtet. Einander ab und zu über den Tisch hinweg den Arm zu streicheln. Es waren sehr private Momente gewesen.
pp 292-293 from Die Arbeit der Nacht by