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Die Arbeit der Nacht - pp 176-
Schwedenplatz. Den Wagen auf den Straßenbahnschienen abgestellt, schrieb er hier die dreizehnte Kamera in seinen Plan. Das bedeutete, es wurde Zeit, sich dem anderen Kanalufer zu widmen. Blitzartig wandte er sich um. Der Wind blies. Das Laub der Bäume neben den Würstelständen raschelte. Starr lag der Platz da. Die Fenster der Apotheke, unbeleuchtet. Der Eissalon. Der Abgang zur U-Bahnstation. Die Rotenturmstraße. Er drehte sich im Kreis. Allerorts Erstarrung.
Near fragment in time
Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by
Near fragment in space
Wien war wie ausgestorben, am Franz-Josefs-Kai glitt sie durch eine grüne Welle, und selbst am Schwedenplatz nicht der geringste Stau. Anzeichen von Zivilisation sah sie lediglich beim berühmten Eisgeschäft, da bevölkerten kleine Menschengruppen die raren schattigen Plätze. Auf der Ringstraße kutschierten ein paar Fiaker japanische Touristen, die sich durch die Hitze nicht beeindrucken ließen und jedes Gebäude knipsten. Seit fast zwanzig Jahren lebte Anna jetzt in Wien, aber eine Fiakerfahrt hatte sie noch nie unternommen. Die ersten Jahre hätte sie sich das schlicht nicht leisten können, und außerdem spürte sie immer noch das Landkind in sich: Pferde gehörten auf eine Wiese und nicht in die Asphalthölle der Wiener Ringstraße.
pp 119-120 from Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien by
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