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Die Vögel brüllen: Kommentare zum Alltag - pp 150
„…Unlängst hat sich in einer Wiener Straßenbahn der Linie 58 um neun Uhr früh Erstaunliches zugetragen. Von sechs anwesenden Fahrgästen waren vier in der Lektüre eines Buches vertieft. Das wirft die Statistik ein bisschen durcheinander,wonach jeder fünfte Österreicher jährlich null Bücher liest und jeder dritte höchstens zwei…“
Near fragment in time
Ein leises Schnurren der Schaltkreise, begleitet vom gedämpften Klang platzenden Popcorns in einem Eisenkessel, und auf dem Monitor leuchtet das erste Ergebnis auf. Es ist die Internetseite des renommierten Hotel Kaiser am Schottenring. Hundert Jahre Kaiser, verrät die goldene Jugendstilschrift auf dem Bildschirm und ein Jahrhundert gehobene Gastlichkeit im gediegenen Ambiente der Belle Époque. Weiter unten kann man nachlesen, dass sich das Hotel seit seinem Gründungsjahr 1898 im Besitz der Familie Söhnlein befindet, deren bislang jüngster Sohn Albert 1988 die Leitung des Hauses übernommen hat. Der Lemming vermerkt es mit Bleistift im Jahresbericht und sucht weiter. Doch es gelingt ihm erst nach geraumer Zeit, einen zweiten Treffer zu landen. sebastian kropil – chorale florale – une plantasie musicale. Weiße Minuskeln im Zentrum unendlicher Schwärze, die absolute Reduktion der ästhetischen Mittel. Wenn das nicht nach Kunst riecht … Hilflos fuhrwerkt der Lemming mit der so genannten Maus herum, drückt frenetisch auf die Tasten des elfenbeinfarbenen Dings, und plötzlich verschwindet das Wort plantasie, um gleich darauf in giftigem Grün wieder zu erscheinen, sich aufzublähen, zu wachsen, ja förmlich über den Bildschirm zu fluten. Aus den kleinen Boxen zu beiden Seiten des Monitors ertönt jetzt ein scharfes Knirschen, ähnlich dem Geräusch einer zerkratzten Schellack auf dem Plattenteller, und ein Summen, wie man es zuweilen in der Nähe von Hochspannungsleitungen hören kann. Vor den Augen des Lemming entfaltet sich ein weiterer Schriftzug: la plantasie du kropol – kalksburg – randgasse 1/2 – freitag, 17. märz 2000 – 21 uhr. Damit stehen zwei Dinge fest: Sebastian Kropil ist Musiker geworden. Und: Es wird ein langer Abend. Der Lemming zahlt und verlässt das CaféModern, nicht ohne sich zuvor bei seinem neu gewonnen Freund bedankt zu haben.
pp 84-85 from Der Fall des Lemming by
