« Back to Gegen einsam
Gegen einsam - pp 43

Die Wohnung liegt in der Laudongasse. Ich gehe an dem Lokal "Brot und Spiele" vorbei. Denke daran, wie ein Bekannter, den ich bei einer Besichtigung seiner WG in der Skodagasse getroffen habe, hier seinen Goldfisch beim MAster-Mind-Spielen an den Barkeeper verloren hat.
Near fragment in time

Ich bin froh, dass ich zur Arbeit keine Schuhe mit Absätzen mehr trage. Meinen Blazer habe ich ausgezogen und um den Arm gewunden. Trotzdem mustern mich die Studierenden der obersten Bankreihe, als ich den Saal betrete. Im Nachbargebäude, der Wirtschaftsuniversität, wäre mein Outfit nicht aufgefallen. Ich muss an die gemeinsame Mensa der beiden Universitäten denken, wo man die Studierenden anhand der Kleidung, Frisuren und Accesoires wie Uhren und Handtaschen mit an hundert Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit der einen oder der anderen zuordnen kann.
pp 171 from Gegen einsam by
Near fragment in space

Der Gedanke, nach diesem unfruchtbaren und auf lächerliche Weise demütigenden Gespräch gleich wieder den Anblick der Twarochschen Akten erdulden zu müssen, zwang seine Schritte geradezu in die demonstrativ entgegengesetzte Richtung, die Lange Gasse hinunter und dann rechts in die Universitätsstraße hinein. Das Allgemeine Krankenhaus, niedrig und langgestreckt, schräg gegenüber einer Kirchenfront mit zwei grünen Barockzwiebeln – in Tuzzi stiegen Kindheitserinnerungen auf: das war die Alserkirche, in der seine Mutter den heiligen Antonius zu verehren pflegte. Er war seither, mehr als drei Jahrzehnte lang, wie er berechnete, nicht hierhergekommen, aber noch während er das kalkullierte, führten ihn seine Füße auf den längst bergessen geglabten Kindheitsweg neben dem Hauptportal in den Gang hinein, an dessen Ende die Antoniuskapelle im Licht vieler kleiner Kerzen schimmerte. Es herrschte geräuschloses, aber emsiges Gebetstreiben, denn die Kapelle war überrarschend gut besucht. Tuzzi sah gebeugte Knie, andächtig geschlagene Kreuzzeichen und unhörbare Gebete mumelnde Lippen. Diese Begegnung mit einer bescheidenen Frömmigkeit rührte ihn, und er versuchte ernsthaft, sich das Gesicht seiner Mutter in Erinnerung zu rufen, wie sie, nach ihren heroischen Ohrfeigenverleihungen, hier gekniet und in gesammelter Andacht auch die Lippen bewegt hatte. Aber es gelang ihm nicht, und das Erinnerungsbild zerann, kaum daß es in seinem inneren Auge halbwegs Kontur angenommen hatte, im flackernden Kerzenschein. Und die gipserne Statue des heiligen Antonius hatte leider eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einem zazarenisch veredelten Ministerialrat Dr. Twaroch. Tuzzi schlenderte, nicht erleichtert, durch den anschließenden Kreuzgang, dessen Wände von einer langen und offenbar bisweilen erfolgreichen Heiligenverehrung zeugten, denn einige Wände waren dicht bekleidet mit gleichförmigen Marmortafeln, steinernen Beglaubigungen gnädiger Heiligenhilfe. Die meisten stammten noch aus den Zeiten der Monarchie und sagten ihren Dank in vielen Sprachen: Dzienkuje, sv. Antonius, Grazie, San Antonio, Danke, heiliger Antonius, vielen Dank und hilf weiter, Köszenem szépen, Szent Antal. Es gab aber auch Tausende Inschriften jüngeren und jüngeren Datums, an weiße Mauerteile mit Bleistift und Kuli, auch mit Lippenstiften hingekritzelte Stoßgebete aus großer Leib- und Seelenbedrängnis. „Heiliger Antonius, bitte hilf mir, laß mich nicht mit meinem Kind stehn, führe ihn zur Einsicht, ich halte es so nicht mehr aus“, stand da und „L. H. Antonius, hilf mir doch zu einem Baby!“ und kaum eine Spanne weiter in anderer Schrift: „Heiliger Antonius, gib, daß ich kein Kind krieg'!“ Die Nähe des großen Krankenhauses und des Landesgerichtes machten sich in vielen Hilferufen geltend: „Hilf mir, ich ertrage den Schmerz nicht länger“ und „Bitte, schütze mich in meinem Prozes daß ich nicht schuldig gesprochen werden, bitte filmals“.
pp 148-149 from Die große Hitze, oder die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi by