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Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 17-20

»Wer ist da?!«
Anna drehte sich so abrupt um, dass sie über ein paar leere Weinflaschen stolperte, und schrie auf. Nun war kein Ton mehr zu hören, und Anna steuerte langsam auf den vorderen Teil des Kellers zu. Wie peinlich, wie schrecklich peinlich, dachte sie und überlegte fieberhaft eine gute Ausrede. Neben dem Tisch stand eine schmale, blonde Frau und starrte Anna angsterfüllt entgegen. Ihre Hände umklammerten einen alten Reisigbesen, der im Ernstfall als Waffe wohl in tausend Stücke zersplittert wäre. »Nicht erschrecken! Ich bin von der Polizei.« »Was tun Sie hier in unserem Keller? Sie dürfen doch nicht einfach so hier rein!« Die Stimme der Frau klang verunsichert, sie ließ den Besen sinken und war sichtlich erleichtert, einer Frau gegenüberzustehen. »Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin hier vorbeigekommen, und die Tür stand offen. Ich hab ein Geräusch gehört, und da wollt ich nachschauen.« »Sie lügen doch! Sie sind überhaupt nicht von der Polizei. Sie sind einfach nur neugierig und sind hier eingedrungen!« Ihre Stimme wurde schrill, und sie schien den Tränen nahe. »Ich bin wirklich von der Polizei, glauben Sie mir. Ich hab nur meine Dienstmarke nicht dabei, weil ich im Wochenende bin. Entschuldigen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Anna Habel, ich hab da unten an der Austraße ein kleines Häuschen.«
»Uschi Mader.« Sämtliche Energie schien nun aus der schmalen Person entwichen zu sein. Sie sank kraftlos auf einen der Stühle und vergrub das Gesicht in den Händen. Anna zog den zweiten Stuhl näher und setzte sich ihr gegenüber. »Sind Sie die Frau vom Bachmüller?« »Freundin. Heiraten wollt er ja nie. Und jetzt steh ich da. Mit nichts!« »Das tut mir leid, aber vielleicht ist ja alles geregelt. Wie lange waren Sie denn schon zusammen?« »Fünf Jahre.« »Vielleicht hat er Sie ja in seinem Testament bedacht.« »Ha, da sieht man, Sie kannten ihn nicht. Der Freddy hätte nie ein Testament gemacht. Der hat doch immer getan, als wär er zwanzig.« »Woran ist er denn gestorben?« »Ich weiß es nicht. Er lag da. Hat sich nicht mehr gerührt. Der Nachbar von nebenan hat ihn gefunden. Ich weiß gar nicht, was der hier drin gewollt hat, die waren doch seit Monaten zerstritten.« »Warum denn?« »Männer halt. Es ging um irgendwelche Grundstücksgrenzen. Der Freddy wollte einen Weinberg vom Sieberer kaufen, doch der wollte nicht verkaufen, obwohl der da seit Jahren nichts anbaut.« »Hatte Ihr Freund denn irgendwelche Beschwerden?« »Für seine 53 Jahre war der fit wie ein Turnschuh. Lief jeden Tag fünf Kilometer, trank nichts, aß nur Bio.« »Wie kann man als Weinbauer nichts trinken?« »Da schaun Sie, was? Er hat sich immer lustig gemacht über die ganzen Saufköpfe, wie er sie genannt hat, hier im Dorf. Nein, er hat immer nur genippt.« »Wissen Sie denn, in welches Spital sie ihn gebracht haben?« »Ja, erst nach Korneuburg. Aber dann brauchten sie eine Herzintensivstation und haben ihn ins Wilhelminenspital gebracht. Aber die haben auch nichts mehr tun können. Als ich hingekommen bin, war er schon tot.« Uschi Mader tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen. »Kommen Sie. Soll ich Sie nach Hause bringen? Haben Sie denn jemanden, der sich um Sie kümmert?«
Anna drehte sich so abrupt um, dass sie über ein paar leere Weinflaschen stolperte, und schrie auf. Nun war kein Ton mehr zu hören, und Anna steuerte langsam auf den vorderen Teil des Kellers zu. Wie peinlich, wie schrecklich peinlich, dachte sie und überlegte fieberhaft eine gute Ausrede. Neben dem Tisch stand eine schmale, blonde Frau und starrte Anna angsterfüllt entgegen. Ihre Hände umklammerten einen alten Reisigbesen, der im Ernstfall als Waffe wohl in tausend Stücke zersplittert wäre. »Nicht erschrecken! Ich bin von der Polizei.« »Was tun Sie hier in unserem Keller? Sie dürfen doch nicht einfach so hier rein!« Die Stimme der Frau klang verunsichert, sie ließ den Besen sinken und war sichtlich erleichtert, einer Frau gegenüberzustehen. »Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin hier vorbeigekommen, und die Tür stand offen. Ich hab ein Geräusch gehört, und da wollt ich nachschauen.« »Sie lügen doch! Sie sind überhaupt nicht von der Polizei. Sie sind einfach nur neugierig und sind hier eingedrungen!« Ihre Stimme wurde schrill, und sie schien den Tränen nahe. »Ich bin wirklich von der Polizei, glauben Sie mir. Ich hab nur meine Dienstmarke nicht dabei, weil ich im Wochenende bin. Entschuldigen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Anna Habel, ich hab da unten an der Austraße ein kleines Häuschen.«
»Uschi Mader.« Sämtliche Energie schien nun aus der schmalen Person entwichen zu sein. Sie sank kraftlos auf einen der Stühle und vergrub das Gesicht in den Händen. Anna zog den zweiten Stuhl näher und setzte sich ihr gegenüber. »Sind Sie die Frau vom Bachmüller?« »Freundin. Heiraten wollt er ja nie. Und jetzt steh ich da. Mit nichts!« »Das tut mir leid, aber vielleicht ist ja alles geregelt. Wie lange waren Sie denn schon zusammen?« »Fünf Jahre.« »Vielleicht hat er Sie ja in seinem Testament bedacht.« »Ha, da sieht man, Sie kannten ihn nicht. Der Freddy hätte nie ein Testament gemacht. Der hat doch immer getan, als wär er zwanzig.« »Woran ist er denn gestorben?« »Ich weiß es nicht. Er lag da. Hat sich nicht mehr gerührt. Der Nachbar von nebenan hat ihn gefunden. Ich weiß gar nicht, was der hier drin gewollt hat, die waren doch seit Monaten zerstritten.« »Warum denn?« »Männer halt. Es ging um irgendwelche Grundstücksgrenzen. Der Freddy wollte einen Weinberg vom Sieberer kaufen, doch der wollte nicht verkaufen, obwohl der da seit Jahren nichts anbaut.« »Hatte Ihr Freund denn irgendwelche Beschwerden?« »Für seine 53 Jahre war der fit wie ein Turnschuh. Lief jeden Tag fünf Kilometer, trank nichts, aß nur Bio.« »Wie kann man als Weinbauer nichts trinken?« »Da schaun Sie, was? Er hat sich immer lustig gemacht über die ganzen Saufköpfe, wie er sie genannt hat, hier im Dorf. Nein, er hat immer nur genippt.« »Wissen Sie denn, in welches Spital sie ihn gebracht haben?« »Ja, erst nach Korneuburg. Aber dann brauchten sie eine Herzintensivstation und haben ihn ins Wilhelminenspital gebracht. Aber die haben auch nichts mehr tun können. Als ich hingekommen bin, war er schon tot.« Uschi Mader tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen. »Kommen Sie. Soll ich Sie nach Hause bringen? Haben Sie denn jemanden, der sich um Sie kümmert?«
Near fragment in time

"Eine Kutsche?" Gustav deutete auf den Fiakerstand gegenüber vor dem Hotel Imperial.
"Nein. Lassen Sie uns zu Fuß gehen, es ist nicht sehr weit."
"Was für ein wunderschöner Tag", sagte Gustav im Plauderton und bot ihr galant seinen Arm an.
Als sie sich ganz ungezwungen bei ihm einhängte, streifte ihr Busen seinen Ellbogen. Er spürte Bewegung in seiner Hose.
Arm in Arm schlenderten sie die Ringstraße entlang. Der Lärm und Dreck auf den Baustellen am Straßenrand tat seinen romantischen Gefühlen keinerlei Abbruch. Ihr Parfüm raubte ihm beinahe den Atem. Oder war es all der Staub und Dreck? Wenn es nicht bald regnete, würde die Reichshauptstadt in einer dicken Staubwolke ersticken.
"Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert", hatte Karl Kraus in der Künstlerzeitschrift Wiener Rundschau geschrieben. Dieser kritische Geist hatte wieder einmal Recht gehabt, dachte Gustav. Die Fertigstellung der Ringstraße, der Bau der Gasleitung und die Regulierung des Wienflusses - Baustellen, nichts als Baustellen seit über zwanzig Jahren. Obwohl Gustav ein glühender Anhänger des Fortschritts und der Moderne war, litt auch er unter dieser permanten Lärm- und Geruchsbelästigung.
pp 23 from Der Tod fährt Riesenrad by
"Nein. Lassen Sie uns zu Fuß gehen, es ist nicht sehr weit."
"Was für ein wunderschöner Tag", sagte Gustav im Plauderton und bot ihr galant seinen Arm an.
Als sie sich ganz ungezwungen bei ihm einhängte, streifte ihr Busen seinen Ellbogen. Er spürte Bewegung in seiner Hose.
Arm in Arm schlenderten sie die Ringstraße entlang. Der Lärm und Dreck auf den Baustellen am Straßenrand tat seinen romantischen Gefühlen keinerlei Abbruch. Ihr Parfüm raubte ihm beinahe den Atem. Oder war es all der Staub und Dreck? Wenn es nicht bald regnete, würde die Reichshauptstadt in einer dicken Staubwolke ersticken.
"Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert", hatte Karl Kraus in der Künstlerzeitschrift Wiener Rundschau geschrieben. Dieser kritische Geist hatte wieder einmal Recht gehabt, dachte Gustav. Die Fertigstellung der Ringstraße, der Bau der Gasleitung und die Regulierung des Wienflusses - Baustellen, nichts als Baustellen seit über zwanzig Jahren. Obwohl Gustav ein glühender Anhänger des Fortschritts und der Moderne war, litt auch er unter dieser permanten Lärm- und Geruchsbelästigung.
Near fragment in space

Als ich einmal einem Assistenten im In-stitut für Publizistik das neue PressWriter-Programm auf die Festplatte kopierte, sagte er zu mir, er kenne einen Schriftsteller, der habe ein kompliziertes Problem, ob er ihm meine Telefonnummer geben dürfe. Der Schriftsteller rief mich dann an. Er wollte ein Lexikon, in dem die Wör-ter alphabetisch nach den zweiten Buchstaben geordnet waren. Als ich sagte, ich hielte es durchaus für möglich, ein Lexikonprogramm in dieser Weise umzugestalten, bat er mich, ihm auch noch einen Ausdruck zu machen, in dem die Wörter nach den dritten Buchstaben geordnet seien. Er schriebe an einem Text, in dem die Aufeinanderfolge der zweiten und dritten Buchstaben einen Subtext bildeten, der für den gewöhnlichen Leser nicht erkennbar sein solle. Ich verstehe, sagte ich, wie ein CD-Bonus-Track mit einem Quick-Time-Video, das nur der Computer erkennt. Ich bin nicht sicher, ob er verstand, was ich meinte, aber er war nun überzeugt, dass ich ihm helfen konnte. Die eigentliche Arbeit war in eineinhalb Stunden erledigt. Ich nahm eines der üblichen Software-Wörterbücher und übertrug es in ein Excelprogramm, wobei ich jedem Buchstaben eine Spalte zuordnete. Danach musste ich das Ganze nur noch vom Computer Spalte für Spalte alphabetisch sortieren lassen. Am längsten benötigte der Ausdruck. Zwei Wochen später rief ich den Schriftsteller an und sagte, dass es mir nun end-lich gelungen sei, seinen Wünschen zu entsprechen. Es sei eine heidenarbeit gewesen. Wir verabredeten einen Über-gabetermin im Café Museum. Der Schriftsteller blätterte und blätterte und drückte dann die Blätter ans Herz, als würden sie ihm das Leben retten. Wie viel bekommen Sie?, fragte er.
Ich sagte, das Umsortieren eines Lexikons sei schon eine verdammt komplizierte Sache, und er sagte, kann ich mir vorstellen. Daraufhin sagte ich: Fünftausend Schilling, und der Schriftsteller sagte, das ist absolut in Ordnung, ich ha-be mich schon auf ganz andere Summen gefasst gemacht. Er gab mir fünftausend Schilling und fragte, ob er eine Rechnung haben könnte. Und da ich in seiner Geldbörse noch viel mehr Scheine sah, sagte ich, bei einer Rechnung kommt die Mehrwertsteuer dazu, und dann kostet es sechstausend Schilling. Der Schriftsteller gab mir einen weiteren Tausender und ich stellte auf dem umgedrehten Deckblatt seines neuen Lexikons meine erste Rechnung aus. Ich fuhr vom Café Museum zum Igel nach Ottakring. Der Igel war ein professioneller Amsterdam-Tourist. Er stank nach Schweiß, wie nie wieder ein Mensch nach Schweiß wird stinken können. Vielleicht war das der Grund, warum er sich als Dealer halten konnte. Es wollte ihm einfach keiner zu nahe kommen. Der Igel gab mir für die sechstausend Schilling eine schöne Platte, die aussah wie Bitterschokolade. Damit konnte ich mich ein paar Mo-nate in meinem Hinterhof vergraben.
pp 339-340 from Das Vaterspiel by
Ich sagte, das Umsortieren eines Lexikons sei schon eine verdammt komplizierte Sache, und er sagte, kann ich mir vorstellen. Daraufhin sagte ich: Fünftausend Schilling, und der Schriftsteller sagte, das ist absolut in Ordnung, ich ha-be mich schon auf ganz andere Summen gefasst gemacht. Er gab mir fünftausend Schilling und fragte, ob er eine Rechnung haben könnte. Und da ich in seiner Geldbörse noch viel mehr Scheine sah, sagte ich, bei einer Rechnung kommt die Mehrwertsteuer dazu, und dann kostet es sechstausend Schilling. Der Schriftsteller gab mir einen weiteren Tausender und ich stellte auf dem umgedrehten Deckblatt seines neuen Lexikons meine erste Rechnung aus. Ich fuhr vom Café Museum zum Igel nach Ottakring. Der Igel war ein professioneller Amsterdam-Tourist. Er stank nach Schweiß, wie nie wieder ein Mensch nach Schweiß wird stinken können. Vielleicht war das der Grund, warum er sich als Dealer halten konnte. Es wollte ihm einfach keiner zu nahe kommen. Der Igel gab mir für die sechstausend Schilling eine schöne Platte, die aussah wie Bitterschokolade. Damit konnte ich mich ein paar Mo-nate in meinem Hinterhof vergraben.