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Zores - pp 99

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Während er die Kochgasse hinunter zur Alserstraße schlenderte, strich er Kranewetter geistig von der Liste der Verdächtigen. Der Mann war so dermaßen simpel gestrickt, dass es ihm unmöglich war, sich so geschickt zu verstellen. Nein, es war offenkundig, dass Kranewetter rein gar nichts verstanden hatte, und genau deshalb kam er als Täter nicht in Frage. Andernfalls nämlich hätte Kranewetter Suchy in einem Tobsuchtsanfall erschlagen, um sich eine Minute später selbst zu stellen. Doch der Mann war so inbrünstig von der jungfräulichen Empfängnis des Nationalsozialismus überzeugt, dass er niemals einem Nazi auch nur das geringste Fehlverhalten zutrauen würde.
Ohne es wirklich zu merken, hatte Bronstein die Alserstraße überquert und sah sich plötzlich an der Ecke zur Spitalgasse stehen. Nun, dann konnte er die Wagner auch gleich aufsuchen, dachte er sich. Er betrat nach wenigen Metern das ihm genannte Haus, das fraglos schon bessere Zeiten gesehen hatte, und suchte am schwarzen Brett nach dem gewünschten Namen. Na bitte, Souterrain. Er begab sich zur Treppe und in der Folge halb unter die Erde. Auf halbem Wege in den Keller gab es eine einzige Tür. Hier mussten, so schloss Bronstein, die Wagners wohnen. Er klopfte.
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Man fuhr von Floridsdorf aus „in die Stadt“. So hieß das, wenn man irgend jemand oder irgend etwas jenseits der Donau aufsuchte. Oft saß Anna in der Straßenbahn, die über die große Brücke fuhr, sah den Kahlenberg und Leopoldsberg, und mit der Zeit liebte sie diesen Blick. Den schimmernden Fluss und die Linie der Hügel dahinter.
pp 282 from Im Schatten der Zeit by Erika Pluhar

Near fragment in space

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Der Gedanke, nach diesem unfruchtbaren und auf lächerliche Weise demütigenden Gespräch gleich wieder den Anblick der Twarochschen Akten erdulden zu müssen, zwang seine Schritte geradezu in die demonstrativ entgegengesetzte Richtung, die Lange Gasse hinunter und dann rechts in die Universitätsstraße hinein. Das Allgemeine Krankenhaus, niedrig und langgestreckt, schräg gegenüber einer Kirchenfront mit zwei grünen Barockzwiebeln – in Tuzzi stiegen Kindheitserinnerungen auf: das war die Alserkirche, in der seine Mutter den heiligen Antonius zu verehren pflegte. Er war seither, mehr als drei Jahrzehnte lang, wie er berechnete, nicht hierhergekommen, aber noch während er das kalkullierte, führten ihn seine Füße auf den längst bergessen geglabten Kindheitsweg neben dem Hauptportal in den Gang hinein, an dessen Ende die Antoniuskapelle im Licht vieler kleiner Kerzen schimmerte. Es herrschte geräuschloses, aber emsiges Gebetstreiben, denn die Kapelle war überrarschend gut besucht. Tuzzi sah gebeugte Knie, andächtig geschlagene Kreuzzeichen und unhörbare Gebete mumelnde Lippen. Diese Begegnung mit einer bescheidenen Frömmigkeit rührte ihn, und er versuchte ernsthaft, sich das Gesicht seiner Mutter in Erinnerung zu rufen, wie sie, nach ihren heroischen Ohrfeigenverleihungen, hier gekniet und in gesammelter Andacht auch die Lippen bewegt hatte. Aber es gelang ihm nicht, und das Erinnerungsbild zerann, kaum daß es in seinem inneren Auge halbwegs Kontur angenommen hatte, im flackernden Kerzenschein. Und die gipserne Statue des heiligen Antonius hatte leider eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einem zazarenisch veredelten Ministerialrat Dr. Twaroch. Tuzzi schlenderte, nicht erleichtert, durch den anschließenden Kreuzgang, dessen Wände von einer langen und offenbar bisweilen erfolgreichen Heiligenverehrung zeugten, denn einige Wände waren dicht bekleidet mit gleichförmigen Marmortafeln, steinernen Beglaubigungen gnädiger Heiligenhilfe. Die meisten stammten noch aus den Zeiten der Monarchie und sagten ihren Dank in vielen Sprachen: Dzienkuje, sv. Antonius, Grazie, San Antonio, Danke, heiliger Antonius, vielen Dank und hilf weiter, Köszenem szépen, Szent Antal. Es gab aber auch Tausende Inschriften jüngeren und jüngeren Datums, an weiße Mauerteile mit Bleistift und Kuli, auch mit Lippenstiften hingekritzelte Stoßgebete aus großer Leib- und Seelenbedrängnis. „Heiliger Antonius, bitte hilf mir, laß mich nicht mit meinem Kind stehn, führe ihn zur Einsicht, ich halte es so nicht mehr aus“, stand da und „L. H. Antonius, hilf mir doch zu einem Baby!“ und kaum eine Spanne weiter in anderer Schrift: „Heiliger Antonius, gib, daß ich kein Kind krieg'!“ Die Nähe des großen Krankenhauses und des Landesgerichtes machten sich in vielen Hilferufen geltend: „Hilf mir, ich ertrage den Schmerz nicht länger“ und „Bitte, schütze mich in meinem Prozes daß ich nicht schuldig gesprochen werden, bitte filmals“.
pp 148-149 from Die große Hitze, oder die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi by Jörg Mauthe