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Sie sprechen mit Jean Améry, was kann ich für sie tun? - pp 73-74

Frank wollte in den 10. Bezirk fahren. Fact-Finding-Mission. Das Brandhaus besichtigen und in einem der Lokale, in dem der erstochene Lehrling laut Medienberichten häufig verkehrte, ein Bier trinken. Callas Aufgabe wollte er sich jedenfalls gründlich widmen, vielleicht sogar mehr herausfinden, als sie bereits wusste. Beim Enkplatz musste er von der U3 in die Straßenbahnlinie 6 wechseln, auf die er laut Anzeigetafel 8 Minuten zu warten hatte. Er nutzte die Zeit, um sich eine Schachtel Marlboro zu kaufen.
Near fragment in time

„Raus ins Freie … wir haben was zu besprechen …“
„Haben Sie Angst, dass wir hier abgehört werden?“
„Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“
Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.
„Wir denken zu engstirnig.“
„Aha … und was sollen wir anders machen?“
„Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“
„Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“
„Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig recht … aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Fall eine andere Sprache spricht … da steckt System dahinter …“
„Bestimmt … aber jedes System entsteht aus Knotenpunkten, Beziehungen … und die untersuchen wir gerade … oder verstehe ich da was nicht?“
„Nein, da haben Sie schon recht … das läuft natürlich weiter wie gehabt“, gab Schäfer zu und schloss für einen Moment die Augen, um sich seine Gedanken vom Vorabend in Erinnerung zu rufen.
„Der Mord hat etwas … was soll das … ausufernder Hass? Aber dafür ist das Vorgehen zu besonnen … das ist ja fast medizinisch … ein Prozedere … “
„Wir haben es mit einem Geisteskranken zu tun …“
„Das ziemlich sicher … nur: Er kommt und geht ohne Spuren, nichts haben wir gefunden, kein Haar, keine Textilfasern …“
„Ein akribischer Plan … ein intelligenter Mensch …“
„Unbedingt … deshalb macht mich das auch so nervös. Wir sind diesem Plan weit hinterher … und was uns in so einem Fall erfahrungsgemäß neue Ansätze bringt …“
„Ist hoffentlich kein zweiter Mord …“
„Das haben Sie jetzt gesagt … aber Sie haben leider Gottes sehr oft recht, Bergmann … schreiben Sie sich das ruhig in Ihre Komplimentemappe … dieser Mensch hat entweder zumindest ein paar Wochen darauf verwendet, diesen Mord zu planen, oder er hat Born gekannt … er hat gewusst, wann der allein zu Hause ist, wann er von niemandem überrascht wird … das ist kein Amateur, der sagt: So, Kinder, Abendessen fällt aus, ich gehe heute mal einen alten Naziknacker mit Säure übergießen … seid brav und um zehn ist der Fernseher aus … “
„Sie meinen, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon einmal getötet hat …“
„Ja … das ist zu professionell für einen Anfänger … Sie wissen, wie Serientäter anfangen … ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … ’tschuldigung … aus der Hölle, müsste ich wohl sagen … da bleibt was zurück … die sind nervös … in ihrem Rausch gefangen … erst beim zweiten oder dritten Mal wird die Inszenierung dann sorgfältiger … ach, ich kenne mich auch nicht mehr aus …“
Sie gingen eine Runde um die Rosenbeete, wobei Schäfer sich die Namensschilder jeder Züchtung ansah. Am liebsten hätte er seine Laufschuhe bei sich gehabt und wäre bis in den Wienerwald gelaufen; dieses Kribbeln unter der Haut, dieses übermäßige Schwitzen … er musste sich irgendwie körperlich verausgaben.
„Gehen Sie ohne mich zurück … ich habe noch was zu erledigen.“
Er querte den Heldenplatz und ging über Kohlmarkt und Graben zu einem Textilgeschäft, wo er eine Badehose und ein Handtuch kaufte. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Eine halbe Stunde in der Neuen Donau – das würde seinen Geist erfrischen, das käme der Arbeit nur zugute. Mit der U1 fuhr er zur Donauinsel, wo er die Uferpromenade entlangspazierte, bis er einen schattigen Platz unter ein paar Birken fand.
pp 75-77 from Der bessere Mensch by
„Haben Sie Angst, dass wir hier abgehört werden?“
„Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“
Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.
„Wir denken zu engstirnig.“
„Aha … und was sollen wir anders machen?“
„Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“
„Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“
„Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig recht … aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Fall eine andere Sprache spricht … da steckt System dahinter …“
„Bestimmt … aber jedes System entsteht aus Knotenpunkten, Beziehungen … und die untersuchen wir gerade … oder verstehe ich da was nicht?“
„Nein, da haben Sie schon recht … das läuft natürlich weiter wie gehabt“, gab Schäfer zu und schloss für einen Moment die Augen, um sich seine Gedanken vom Vorabend in Erinnerung zu rufen.
„Der Mord hat etwas … was soll das … ausufernder Hass? Aber dafür ist das Vorgehen zu besonnen … das ist ja fast medizinisch … ein Prozedere … “
„Wir haben es mit einem Geisteskranken zu tun …“
„Das ziemlich sicher … nur: Er kommt und geht ohne Spuren, nichts haben wir gefunden, kein Haar, keine Textilfasern …“
„Ein akribischer Plan … ein intelligenter Mensch …“
„Unbedingt … deshalb macht mich das auch so nervös. Wir sind diesem Plan weit hinterher … und was uns in so einem Fall erfahrungsgemäß neue Ansätze bringt …“
„Ist hoffentlich kein zweiter Mord …“
„Das haben Sie jetzt gesagt … aber Sie haben leider Gottes sehr oft recht, Bergmann … schreiben Sie sich das ruhig in Ihre Komplimentemappe … dieser Mensch hat entweder zumindest ein paar Wochen darauf verwendet, diesen Mord zu planen, oder er hat Born gekannt … er hat gewusst, wann der allein zu Hause ist, wann er von niemandem überrascht wird … das ist kein Amateur, der sagt: So, Kinder, Abendessen fällt aus, ich gehe heute mal einen alten Naziknacker mit Säure übergießen … seid brav und um zehn ist der Fernseher aus … “
„Sie meinen, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon einmal getötet hat …“
„Ja … das ist zu professionell für einen Anfänger … Sie wissen, wie Serientäter anfangen … ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … ’tschuldigung … aus der Hölle, müsste ich wohl sagen … da bleibt was zurück … die sind nervös … in ihrem Rausch gefangen … erst beim zweiten oder dritten Mal wird die Inszenierung dann sorgfältiger … ach, ich kenne mich auch nicht mehr aus …“
Sie gingen eine Runde um die Rosenbeete, wobei Schäfer sich die Namensschilder jeder Züchtung ansah. Am liebsten hätte er seine Laufschuhe bei sich gehabt und wäre bis in den Wienerwald gelaufen; dieses Kribbeln unter der Haut, dieses übermäßige Schwitzen … er musste sich irgendwie körperlich verausgaben.
„Gehen Sie ohne mich zurück … ich habe noch was zu erledigen.“
Er querte den Heldenplatz und ging über Kohlmarkt und Graben zu einem Textilgeschäft, wo er eine Badehose und ein Handtuch kaufte. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Eine halbe Stunde in der Neuen Donau – das würde seinen Geist erfrischen, das käme der Arbeit nur zugute. Mit der U1 fuhr er zur Donauinsel, wo er die Uferpromenade entlangspazierte, bis er einen schattigen Platz unter ein paar Birken fand.
Near fragment in space

Es klarte wieder auf, und es kam sogar die Sonne heraus, als das Konzert noch im Gange war. Mir kam es vor, als hätte der Regen Stunden gedauert. Ich ging in die Arena zurück. Die Bühne war überdacht, aber die Zuhörer stan-den bis zu den Knöcheln in einem Sumpf. Nur wenige hat-ten Regenkleidung oder Schirme bei sich. Sie meisten wa-ren, so wie ich, völlig durchnässt. Das trübte die Stimmung aber nicht. Von den Menschen, die sich am Bühnenrand drängten und immer noch im Rhythmus der harten Beats sprangen, stieg eine Dampfwolke auf und dann, nach dem Schlussakkord, ein endloses Kreischen und Pfeifen. Wäh-rend die Menschen zum Ausgang drängten, viele von ihnen mit den Schuhen in den Händen, hielt ich mich am Rande der Tribüne an einer Eisenstange fest, um nicht vom Strom mitgerissen zu werden. Auch Gerhard und den beiden Frauen klebten die Kleider am Körper. Meine Schwester trug, wie immer, einen schwarzen Büstenhalter, der nun an der Innenseite des T-Shirts klebte. Bibi, das war deutlich zu sehen, hatte ein leicht vorstehendes Brustbein, aber nicht den geringsten Ansatz eines Busens. Hingegen hatte sie große, abstehende Brustwarzen, auf die ich so lange und offenbar so auffällig schaute, bis Bibi ihre Bluse von der Brust wegzog und nichts mehr zu sehen war.
Wir fuhren in eine Pizzeria in der Margaretenstraße, in der meine Schwester und Gerhard schon öfter gewesen wa-ren. Dort gab es eine gute vegetarische Pizza. Aber die Kellnerin wollte uns, weil wir so nass waren, anfangs gar nicht Platz nehmen lassen. Gerhard ging zur Wirtin und redete auf sie ein, wobei er gestikulierte, als wäre er ein wasch-echter Italiener. Er hatte Erfolg. Die Wirtin brachte schwarze Abfallsäcke und legte sie auf die Stoffpolsterung der Sitzbank. Prego signori, sagte sie. Gerhard bestellte eine Flasche Chianti, und kurz darauf sah ich meine Schwester das erste Mal Alkohol trinken. Ich begann laut zu lachen, bekam dabei aber den Wein in die falsche Röhre und musste husten.
Was hast du?, fragte Klara
Ich kenne dich überhaupt nicht, antwortete ich mit dem wenigen Atem, den mir das Lachen und Husten ließ. Ich dachte, du bist strikte Antialkoholikerin.
Da seht ihr, wie es bei uns in der Familie zugeht, sagte Klara. Keiner hat eine Ahnung vom anderen.
Stimmt, antwortete ich. Wahrscheinlich hat unser Alter längst zehn Freundinnen, und die Mama geht heimlich auf den Strich.
Die Mama auf den Strich? Das glaubst du wohl selber nicht.
Doch, sagte ich. Ich traue es ihr zu.
Das ist ja nun wirklich der letzte Blödsinn, sagte Klara, und dann suchten wir ein anderes Thema.
Nach dem Essen gingen wir in die Wohnung von Bibi und Gerhard in der Hofmühlgasse, ganz in der Nähe des Margaretenplatzes. Die beiden wohnten in einem Pawlat-schenhaus, bei dem die Wohnungen von einem Arkaden-hof aus begehbar waren. Die Wohnung gehörte den Eltern von Bibi und Gerhard, und so war sie auch eingerichtet. Schleiflackmöbel und ein Kristallluster schon im Vorzim-mer. Bevor die Kinder studierten, hatten die Eltern diese Wohnung nur an Wochenenden benutzt, wenn sie nach Wien in die Oper oder ans Konzert fuhren.
pp 238-240 from Das Vaterspiel by
Wir fuhren in eine Pizzeria in der Margaretenstraße, in der meine Schwester und Gerhard schon öfter gewesen wa-ren. Dort gab es eine gute vegetarische Pizza. Aber die Kellnerin wollte uns, weil wir so nass waren, anfangs gar nicht Platz nehmen lassen. Gerhard ging zur Wirtin und redete auf sie ein, wobei er gestikulierte, als wäre er ein wasch-echter Italiener. Er hatte Erfolg. Die Wirtin brachte schwarze Abfallsäcke und legte sie auf die Stoffpolsterung der Sitzbank. Prego signori, sagte sie. Gerhard bestellte eine Flasche Chianti, und kurz darauf sah ich meine Schwester das erste Mal Alkohol trinken. Ich begann laut zu lachen, bekam dabei aber den Wein in die falsche Röhre und musste husten.
Was hast du?, fragte Klara
Ich kenne dich überhaupt nicht, antwortete ich mit dem wenigen Atem, den mir das Lachen und Husten ließ. Ich dachte, du bist strikte Antialkoholikerin.
Da seht ihr, wie es bei uns in der Familie zugeht, sagte Klara. Keiner hat eine Ahnung vom anderen.
Stimmt, antwortete ich. Wahrscheinlich hat unser Alter längst zehn Freundinnen, und die Mama geht heimlich auf den Strich.
Die Mama auf den Strich? Das glaubst du wohl selber nicht.
Doch, sagte ich. Ich traue es ihr zu.
Das ist ja nun wirklich der letzte Blödsinn, sagte Klara, und dann suchten wir ein anderes Thema.
Nach dem Essen gingen wir in die Wohnung von Bibi und Gerhard in der Hofmühlgasse, ganz in der Nähe des Margaretenplatzes. Die beiden wohnten in einem Pawlat-schenhaus, bei dem die Wohnungen von einem Arkaden-hof aus begehbar waren. Die Wohnung gehörte den Eltern von Bibi und Gerhard, und so war sie auch eingerichtet. Schleiflackmöbel und ein Kristallluster schon im Vorzim-mer. Bevor die Kinder studierten, hatten die Eltern diese Wohnung nur an Wochenenden benutzt, wenn sie nach Wien in die Oper oder ans Konzert fuhren.