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Sie sprechen mit Jean Améry, was kann ich für sie tun?

978 3 85286 212 5
January 2011
January 2011
QuoteAch ja, wenn du bei mir bist, schau bitte in der Blauen Tomate vorbei, denen schulde ich noch 25 Euro;

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QuoteSeit beinahe vier Jahren besuchte Frank Gerda regelmäßig in der Filiale des Arbeitsmarktservices in der Huttengasse; allerlei Hürden hatte sie sich für ihn schon ausgedacht, aber er kam immer wieder.

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QuoteOhne sie hätte er, der am Rande des Wienerwalds in einer kleinen Gemeindebauwohnung lebte, wohl niemals zugestimmt, in die Rolle eines Call-Center-Agents im Gasometer zu schlüpfen.

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QuoteSollte er sie etwa auf einen Kaffee am Abend in die Blue Box einladen?

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QuoteFrank nahm morgens immer den vierten Waggon; er hatte keine Ahnung, wie es dazu kam; irgendwann entschied er so und irgendwann entschied er auch, sich immer dafür zu entscheiden. […] „Tschüssi, baba und lass echt die Finger vom Actimel!“, schloss sie und stieg in „Stephansplatz“ aus, ohne Frank auch nur einen flüchtigen Blick zu widmen. […] Die Frau lächelte ihm zwischen „Herrengasse“ und „Stephansplatz“ zu – ein unverbindlich konspiratives Lächeln, ein augenzwinkerndes ohne Augenzwinkern; eines, das auf politische Menschen erotisch wirken kann und von anderen übersehen wird. In der Station „Stubentor“ verließ sie die U3, wahrscheinlich studierte sie Kunst an der Angewandten. [...] Beim Verlassen des Waggons merkte sich Frank die Nummer.

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QuoteDas Cover ihrer Zeitung zeigte eine Spielszene auf der Mariahilfer Straße mit dem weisen Text: "Wien stöhnt! Immer mehr Hütchenspieler"

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QuoteFrank war müde. Sollten beide Google-Ergebnisse eine gerade Anzahl an Ergebnissen auswerfen, würde er anschließend noch in die Blaue Tomate gehen.

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QuoteEr sinnierte darüber, wie sehr sein Leben durch den Verlauf der U-Bahn-Linie 3 strukturiert wurde. Ohne Umsteigen erreichte er seine Lieblingslokale, seine Lieblingskinos, das Museumsquartiert alle seine ÄrztInnen und jetzt auch noch seinen Job. Nie hätte er ihn angenommen, lieber wieder sechs Wochen ohne Bezug und Betteln beim Sozialamt – wäre da nicht die U3.

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Quote"Ottakring" hatte den unschätzbaren Vorteil einer Endstation. Frank konnte sich absolut sicher sein, dass niemand seinen Platz besetzte. [...] Ab "Westbahnhof" versuchte er zu dösen.

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QuoteNeubau, wie der siebte Bezirk genannt wird, hatte seit einigen Jahren einen grünen Bezirksvorsteher, der für dieses ehrenvolle Amt sogar seine Trafik treuhändisch an andere übergab. Hier wohnten seit zwanzig Jahren die gleichen Leute. Damals waren sie als 20-jährige Studierende in Substandardwohnungen eingezogen, hatten in verrauchten Kneipen ihre ersten künstlerischen Schritte gemacht oder com Designerdasein geträumt. Sie renovierten ihre Wohnungen, kauften anderem DisignerInnen überteuerte Klamotten ab und konnten sich nicht nur Sushis leisten, sonder Bio-Sushis. Niemand zog weg, alle wurden hier älter und die Kinder der Leute hatte weiterhin keine Parks zum Spielen. Selbst die Kommunistische Partei war geblieben und hatte aus ihrem Siebenstern das Café 7Stern gemaht, das sich architektonisch dem Trend und den Bedürfnissen der jetz 40-jährigen Grünen anpasste. Er war nicht oft hier zu Gast; es war schwer, mit jemandem ins Gespräch zu kommen.

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QuoteFrank entschied sich für die grünbürgerliche Schlendertour, fuhr mit der U3 bis Volkstheater und spazierte dann entlang der Stra0enbahnlinie 49 beinahe direkt zur Blauen Tomate.

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QuoteFrank wollte noch ein bisschen schlendern und anschließend in die Blaue Tomate, sein Lieblingslokal außerhalb des Gürtels, ein Chili essen. Die U3 wechselte entlang der Strecke sehr oft ihr Publikum. Vom „Simmering“ bis „Landstraße“ dominierten derb ausländerfeindliche Haltungen, vorgebracht con sehr weißen Jugendlichem mit minimalistischen Wortschatz und lauten Stimmen. Von „Landstraße“ bis „Stephansplatz“ stiegen Damen mit edlen Hüten, Männer mit Loden- und Staubmänteln sowie italienische, japanische und deutsche TouristInnen zu. Von „Stephansplatz“ bis „Westbahnhof“ wurde die Anzahl der Einkaufstaschen grö0er, oft auch mit Tragetaschen von edlen Geschäften geposed. Die Anzahl der Reisetrolleys stieg mit der Nähe zum Westbahnhof. Ab dort waren Trolleys und Einkaufstaschen noch bis „Johnstra0e“ zu sehen, um danach von mehrheitlich türkisch-, slawisch- und deutschsprechendem Proletariat abgelöst zu werden, was sich bis zur Endstation „Ottakring“ nicht mehr änderte.

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QuoteEr wäre jetzt gern mit Bo in der Blue Box saufen gewesen, und Bo würde ihm erzählen, dass er Regisseur sei und Frank eine rolle anbiete in einer Serie, die über drei Jahre in New York abgedreht werde und dass er Wien ein für alle Mal zurücklassen könne.

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QuoteFrank bezahlte, lief die Neubaugasse hinunter und trieb sich noch die Länge von zwei Zigaretten am Eingang des Camera-Clu herum. Wenn Bo als Tourist Drogen suchte, würde er von wohlmeinden PassantInnen hierhin geschickt werden.

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QuoteFrank fühlte sich wie ein verarschtes Gropupie, stieg die Treppe zur U3 hinunter und fuhr im vordersten Waggon sitzend nach Hause.

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Quote[...] voll motiviert verließ Frank in der Station "Erdberg" die U-Bahn.

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QuoteNoch immer bestens gelaunt verließ er die U3 bei "Stubentor" und betrat das Prückel. Wia alle anderen schweifte er mit den Blicken durchs ganzue Lokal, als suche er jemand und lie0 sich dann an einem der kleinen freienTische nahe dem Eingang nieder, an dem unübersehbar Herr Franz seinen Dienst versah.

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QuoteAbends wollte er nach der Tomate zu einem Konzert ins Rhiz: "First Fatal Kiss", eine queer-feministische Band, die minimalistischen Indierock mit Keyboard, deutschprachigen Texten und 80er Jahre-Wave-Affinität zum Besten gab, wie es im Ankündigungsfolder stand.

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QuoteEr schaute noch ins Carina hinein, ins Chelsea und in zwei weitere Gürtellokale, die er nicht einmal namentlich wahrnahm. Keine Spur von Bo und keine Spur von Nähe, warum auch. Auch nichts in der Blue Box, nicht im Europa. Es war bereits Mitternacht, Frank ging zur U3-Station „Neubaugasse“ und wartete auf seinen Wagen; eine halbe Stunde hatte er noch bis zur letzten U-Bahn, zum Abschluss ein Weizen in der Tomate. Ein einfältiger Plan, aber zumindest ein Plan.

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QuoteFrank wollte in den 10. Bezirk fahren. Fact-Finding-Mission. Das Brandhaus besichtigen und in einem der Lokale, in dem der erstochene Lehrling laut Medienberichten häufig verkehrte, ein Bier trinken. Callas Aufgabe wollte er sich jedenfalls gründlich widmen, vielleicht sogar mehr herausfinden, als sie bereits wusste. Beim Enkplatz musste er von der U3 in die Straßenbahnlinie 6 wechseln, auf die er laut Anzeigetafel 8 Minuten zu warten hatte. Er nutzte die Zeit, um sich eine Schachtel Marlboro zu kaufen.

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QuoteBis zum Cafe Traude waren es nur sechs Häuserblocks. Laut Zeitungsberichten war dies das Lokal, wo der getötete 17-jährige Lehrling regelmäßig an den Glücksspielautomaten abhing und mit seinen Freunden trank.

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QuoteFrank verließ das Cafe Traude und wollte nur schnell nach Hause und eine Dusche nehmen.

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QuoteVom Bahnhof Meidling fuhr er direkt zum Cafe Traude:

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QuoteDas Blue Tomato hatte sonntags zu, Frank fuhr direkt nach Hause und schaltete seinen Computer ein.

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QuoteObwohl heute ein besonderer Tag war, nahm Frank die U-Bahn von 7 Uhr 23. Sein Waggon war noch unsigniert, so konnte er nach langer Zeit wieder einmal ein großes „F“ ritzen. Bei „Johnstraße“ war er fertig, den Rest der Strecke lehnte er sich an das Fenster, schloss die augen und dachte an Calla. Die anderen Fahrgäste interessierten ihn nicht. Fast hätte er den Ausstieg in der Station „Gasometer“ versäumt, in letzter Sekunde sprang er hinaus und musste eine Beschimpfung der U-Bahn-Fahrerin über sich ergehen lassen.

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QuoteFrank wollte sich zuerst der Adresse widmen. Der Mast war auf einem Bürohaus in der Davidgasse 14 montiert.

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QuoteZur Eröffnung gönnte er sich eine Sachertorte, die er in der Filiale Stephansplatz, der Konditorei Aida erstanden hatte. Dazu echtes handgeschlagenes Schlagobers und eine Kerze.

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QuoteDa er unfreiwillig in der Neubaugasse die U-Bahn verlassen musste, gönnte Frank sich noch einen Kaffee mit Milch extra in der Blue Box.

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QuoteFrank legte einen Fünfer auf die Theke und eilte zur U-Bahn. Es war 4 Uhr Naachmittag, um 8 war er mit Bo im Blue Tomato verabredet, er wollte noch eine Runde Schlaf einlegen und sich auf den Abend einstimmen.

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QuoteEs war noch sehr wenig los in der Blauen Tomate, Frank war 15 Minuten zu früh und bestellte einen großen Espresso mit einem kleinen Amaretto. […] Sie gingen denselben Weg zurück, den sie bei ihrem ersten Treffen gegangen waren und sie schwiegen wie damals. Sie steuerten das Cafe Concerto an; im Keller war an diesem Abend eine belgische Ska-Band angesagt. Bo zahlte den Eintritt für sie beide, bestellte zwei Gin Tonic und steuerte einen mit Rosen dekorierten Tisch an; sehr ungewöhnlich für dieses Lokal. […] Die Band packte ihre Instrumente zusammen und mischte sich dann biertrinkend unter die Groupies beiderlei Geschlechts. Frank und Bo zogen weiter, zuerst ins Carina, dann ins Chelsea.

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QuoteEs war schon nach Mitternacht, als Frank in Ottakring die U-Bahn verließ. Nicht mehr viele Menschen waren um diese Zeit unterwegs und alle immer noch sehr schnell.

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