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Herzlos - pp 63
Beim nächsten Versuch erreichte ich Emilia und verabredete mich mit ihr auf dem Stephansplatz vor dem Cafè Aida. (...) Als ich mit der U1 zum Stephansplatz fuhr, erhielt ich einen Anruf aus der Redaktion.
Near fragment in time
Doch am Ersten Mai, da wollte er mich immer dabeiha-ben. Die Roten Falken seien kein Grund, vom Maiaufmarsch fernzubleiben. Ich könnte mich ja dem Verband Sozialistischer Mittelschüler und später dem Verband So-zialistischer Studenten anschließen. Die Wahrheit ist, mir wurde es zunehmend peinlicher, auf dem Rathausplatz meinem Vater zuzuwinken, aber es fiel mir schwer, ihm das so direkt zu sagen. Und so gab es jedes Jahr die gleichen Diskussionen, und ich drückte mich um klare Antworten herum und bleib schließlich einfach weg, ohne es im Detail zu begründen. Meine Schwester begleitete noch eine Zeit lang meine Mutter. Später bleib auch sie fern. Mein Vater warf uns das jedes Jahr erneut vor.
Schon am Vortag des Ersten Mai fragte er, wer von uns nun zum Fackelzug der Sozialistischen Jugend gehe. Der Einzige, der Jahr für Jahr ging war mein Vater selbst, der sozialistische Berufsjugendliche. Er stand auch dort bei der Kundgebung auf dem Podium, hielt Reden und sang zum Abschluss gemeinsam mit der Sozialistischen Jugend die Internationale. Dann kam er heim und beschwerte sich, dass die Jugend die Internationale nicht mehr singen könne. Er hielt eisern zu seiner Tradition. Selbst als er schon Minister war und gleichzeitig in hun-dert Aufsichtsräten saß, am Ersten Mai zog er in aller Früh von unserem Designerhaus am Rande des Wiener-walds los, um für einen Tag in der Innenstadt den Proletarier zu spielen.
Gehst du eigentlich morgen zu den Geilen Säcken, frag-te ich meine Schwester, nachdem mein Vater seinen Ver-such, wenigstens einen von uns für den Fackelzug zu ge-winnen, aufgegeben hatte und schließlich mit seinem Chaffeur allein in die Innenstadt aufgebrochen war.
Na klar, antwortete Klara. Wir haben sogar schon Karten. Ich gehe mit der Bibi und dem Gerhard hin.
pp 230-231 from Das Vaterspiel by
Schon am Vortag des Ersten Mai fragte er, wer von uns nun zum Fackelzug der Sozialistischen Jugend gehe. Der Einzige, der Jahr für Jahr ging war mein Vater selbst, der sozialistische Berufsjugendliche. Er stand auch dort bei der Kundgebung auf dem Podium, hielt Reden und sang zum Abschluss gemeinsam mit der Sozialistischen Jugend die Internationale. Dann kam er heim und beschwerte sich, dass die Jugend die Internationale nicht mehr singen könne. Er hielt eisern zu seiner Tradition. Selbst als er schon Minister war und gleichzeitig in hun-dert Aufsichtsräten saß, am Ersten Mai zog er in aller Früh von unserem Designerhaus am Rande des Wiener-walds los, um für einen Tag in der Innenstadt den Proletarier zu spielen.
Gehst du eigentlich morgen zu den Geilen Säcken, frag-te ich meine Schwester, nachdem mein Vater seinen Ver-such, wenigstens einen von uns für den Fackelzug zu ge-winnen, aufgegeben hatte und schließlich mit seinem Chaffeur allein in die Innenstadt aufgebrochen war.
Na klar, antwortete Klara. Wir haben sogar schon Karten. Ich gehe mit der Bibi und dem Gerhard hin.
Near fragment in space
Eine Strategie! Ja, dachte Breuer auf dem Heimweg im Fiaker, es wurde höchste Zeit, dass auch er sich eine Strategie überlegte. So sehr war er damit beschäftigt gewesen, Nietzsche in die Falle zu locken, dass er bislang keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie er den Fang zähmen sollte, der nun auf Zimmer 13 der Lauzon-Klinik festsaß. Während der Fiaker schwankte und holperte, wandte sich Breuer also strategischen Überlegungen zu. Ein schöner Schlamassel; Anhaltspunkte gab es keine, geschweige denn Schulfälle. Er müsste eine vollkommen neue Behandlungsmethode erfinden. Am besten, er besprach die ganze Sache mit Freud; der begrüßte jede solche Herausforderung. Breuer bat Fischmann, am Spital anzuhalten und Doktor Freud ausfindig zu machen.
Das Wiener Allgemeine Krankenhaus, in dem Freud als Aspirant klinische Erfahrung für die spätere eigene Praxis sammelte, glich einer Stadt in der Stadt: In einem Dutzend Gebäudekarrees mit jeweils geschlossenem Hof, von welchen jedes eine eigene Abteilung beherbergte und welche alle durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge miteinander in Verbindung standen, waren zweitausend Patienten untergebracht. Eine vier Meter hohe Mauer riegelte die Außenwelt ab.
Fischmann, mit den verschlungenen Wegen bestens vertraut, eilte von dannen, um Freud von seiner Abteilung zu holen. Minuten später schon kehrte er allein zurück. »Doktor Freud ist nicht im Hause. Doktor Hauser sagte mir, er wäre vor einer Stunde in sein Stammlokal gegangen.«
Das von Freud frequentierte Kaffeehaus, das Café Landtmann am Franzensring, lag nur wenige Straßenzüge entfernt, und dort traf Breuer seinen Freund auch an. Er saß allein vor einem Braunen und studierte ein französisches Literaturjournal. Im Café Landtmann verkehrten vorwiegend Ärzte, klinische Aspiranten und Medizinstudenten. Obschon weniger exklusiv als Breuers Stammcafé Griensteidl, abonnierte das Landtmann über achtzig Zeitungen und Zeitschriften, mehr vielleicht als jedes andere Wiener Kaffeehaus.
»Sigmund, lassen Sie uns auf eine Leckerei zu Demel gehen. Ich habe Neuigkeiten über den Migräne-Professor.«
Im Nu war Freud aufbruchsbereit. Er schwärmte leidenschaftlich für die illustre Wiener Hofzuckerbäckerei, konnte sich einen Besuch jedoch nur dann leisten, wenn er eingeladen wurde. Zehn Minuten darauf saßen sie an einem ruhigen Ecktisch. Breuer bestellte zwei Braune, ein Stück Schokoladenkuchen für sich selbst und für Freud Zitronencremetorte mit Schlag, welche dieser so gierig verschlang, dass Breuer seinen jungen Freund drängte, sich vom silbernen Kuchenwagen ein zweites Stück auszuwählen. [...] »Aber ja!« Breuer war begeistert. »Eine bedeutsame Einsicht!« Er ließ ein paar Kupferkreuzer auf dem Tisch liegen, und dann schlenderten er und Freud hinaus auf den Michaelerplatz. »Wenn mein Patient diesen anderen Teil in sein Ich aufnehmen könnte, wäre viel gewonnen. Wenn er einzusehen vermöchte, wie natürlich es ist, Trost von seinen Mitmenschen zu erhoffen, das genügte schon!«
Sie gingen den Kohlmarkt hinab und trennten sich dann im Gedränge am Graben. Freud schlug den Weg durch die Naglergasse zum Krankenhaus ein, Breuer schlenderte über den Stephansplatz Richtung Bäckerstraße. Die Nummer 7 lag schräg hinter den hochaufragenden romanischen Türmen des Westwerkes des Stephansdoms.
pp 217-226 from Und Nietzsche weinte by
Das Wiener Allgemeine Krankenhaus, in dem Freud als Aspirant klinische Erfahrung für die spätere eigene Praxis sammelte, glich einer Stadt in der Stadt: In einem Dutzend Gebäudekarrees mit jeweils geschlossenem Hof, von welchen jedes eine eigene Abteilung beherbergte und welche alle durch ein Labyrinth unterirdischer Gänge miteinander in Verbindung standen, waren zweitausend Patienten untergebracht. Eine vier Meter hohe Mauer riegelte die Außenwelt ab.
Fischmann, mit den verschlungenen Wegen bestens vertraut, eilte von dannen, um Freud von seiner Abteilung zu holen. Minuten später schon kehrte er allein zurück. »Doktor Freud ist nicht im Hause. Doktor Hauser sagte mir, er wäre vor einer Stunde in sein Stammlokal gegangen.«
Das von Freud frequentierte Kaffeehaus, das Café Landtmann am Franzensring, lag nur wenige Straßenzüge entfernt, und dort traf Breuer seinen Freund auch an. Er saß allein vor einem Braunen und studierte ein französisches Literaturjournal. Im Café Landtmann verkehrten vorwiegend Ärzte, klinische Aspiranten und Medizinstudenten. Obschon weniger exklusiv als Breuers Stammcafé Griensteidl, abonnierte das Landtmann über achtzig Zeitungen und Zeitschriften, mehr vielleicht als jedes andere Wiener Kaffeehaus.
»Sigmund, lassen Sie uns auf eine Leckerei zu Demel gehen. Ich habe Neuigkeiten über den Migräne-Professor.«
Im Nu war Freud aufbruchsbereit. Er schwärmte leidenschaftlich für die illustre Wiener Hofzuckerbäckerei, konnte sich einen Besuch jedoch nur dann leisten, wenn er eingeladen wurde. Zehn Minuten darauf saßen sie an einem ruhigen Ecktisch. Breuer bestellte zwei Braune, ein Stück Schokoladenkuchen für sich selbst und für Freud Zitronencremetorte mit Schlag, welche dieser so gierig verschlang, dass Breuer seinen jungen Freund drängte, sich vom silbernen Kuchenwagen ein zweites Stück auszuwählen. [...] »Aber ja!« Breuer war begeistert. »Eine bedeutsame Einsicht!« Er ließ ein paar Kupferkreuzer auf dem Tisch liegen, und dann schlenderten er und Freud hinaus auf den Michaelerplatz. »Wenn mein Patient diesen anderen Teil in sein Ich aufnehmen könnte, wäre viel gewonnen. Wenn er einzusehen vermöchte, wie natürlich es ist, Trost von seinen Mitmenschen zu erhoffen, das genügte schon!«
Sie gingen den Kohlmarkt hinab und trennten sich dann im Gedränge am Graben. Freud schlug den Weg durch die Naglergasse zum Krankenhaus ein, Breuer schlenderte über den Stephansplatz Richtung Bäckerstraße. Die Nummer 7 lag schräg hinter den hochaufragenden romanischen Türmen des Westwerkes des Stephansdoms.
