Arrows_down
Arrows_up
« Back to Die Stadt ohne Juden

Die Stadt ohne Juden - pp 68-69

Quote
Nach weiteren fünf Minuten hielt der Portier einen Zehntausendkronenschein als Angabe in der Hand, und Herr Dufresne war Besitzer der Wohnung. Als er jetzt mit beschleunigten Schritten gegen Grinzing ging, wirbelte er vergnügt sein Spazierstöckchen in der Luft und murmelte vor sich hin: »Der Anfang ist gut, besser hätte ich es mit der Wohnung gar nicht treffen können.« Je näher er aber Grinzing kam, desto erregter wurde er, seine Wangen färbten sich rot und seine braunen lustigen Augen leuchteten wie im Fieber. Nun hatte er die Kobenzlgasse erreicht und seine Schritte wurden langsam, fast schleppend, wie die eines Mannes, der einem schicksalsschweren Augenblick entgegengeht. Vor dem Hause des Hofrates Spineder blieb er tiefatmend stehen und zog sich den grauen Kalabreserhut in die Stirne, daß man nur mehr seinen Knebelbart und das Kinn sah. Unschlüssig ging er auf und ab, mitunter nervös auf die Armbanduhr sehend, die auf halb zwölf wies. Gerade als er wieder vor dem grünen Tor stand, ging dieses auf und ein Dienstmädchen verließ das Haus. Und eben in diesem Augenblick, als das Tor offen stand, sah Herr Dufresne, wie von der links im Hofe gelegenen Wohnungstür ein junges, weißgekleidetes Mädchen mit goldblonden Haaren, die kein Hut verdeckte, in der Hand ein Buch, den Hof nach rückwärts durchschritt und den Garten aufwärts ging.
  68
  69
  No
  Yes
  No
  No
  (none)
  Cobenzlgasse

Near fragment in time

Quote
Das vierstöckige Haus mit den erbärmlichen Wohnungen trägt die Nummer 54, das kleine mit den vielen Höfen 56, und neben diesem liegt das Haus Nummer 58, das wieder einen anderen Typus repräsentiert. Es stammt aus den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, einer Zeit also, da noch recht solid gebaut wurde, die Zimmer groß, hoch, die Küchen geräumig, die Kachelöfen breit und behaglich waren. So dick und massiv waren damals die Mauern, daß diese Häuser die Entwicklung der Gasbeleuchtung nicht hatten mitmachen können, da es kaum möglich gewesen wäre, die Rohre einzuziehen. Erst kurz vor dem Krieg hatte der Hausherr, der einer alten Wiener Familie angehörte und ein wenig Herz für seine Parteien besaß, elektrisches Licht einführen lassen.
pp 25 from Die freudlose Gasse by Hugo Bettauer

Near fragment in space

Quote
In der Früh, wenn der Bäcker müde wird, starten die Bobos ihre Minis und Saabs und Smarts und fahren in ihre kleine Galerie in der Schleifmühlgasse, ins Funkhaus in der Argentinierstraße, in das vegane Naschmarktlokal. Dann wacht der Sandler auf, der an geraden Tagen auf der Bank unter der linken Platane schläft, an ungeraden auf der Bank unter der rechten.
Und vormittags, wenn der Bäcker schläft, nicht vor zehn, fährt der Musik-Kabarettist Muckenstrunz auf seinem Kinderklappfahrrad quer über das Pflaster. Und nie hat und nie wird ihm jemand einen Vorwurf machen, denn der Musik-Kabarettist Muckenstrunz ist klitzeklein und fährt auf seinem Kinderfahrrad ausschließlich auf den Gehsteigen, alles andere wäre nicht richtig, hier fast neben dem Fluss, nach dem, die Stadt benannt ist.
Zu Mittag kommen die türkischen Schulkinder, sie sind schlimm und unartig und fechten mit zotigen turkmenischen Vokabeln, dann die Frau mit den drei kläffenden Hunden, und abends, wenn nur mehr die aufgebohrten Mopeds durchs Viertel glühen, kommen die Nigerianer, um in der Wertkartentelefonzelle vor dem Hahzeh-Strache-Plakat nach Hause zu telefonieren. Ein beschaulicher Platz, der Hugo-Wiener-Platz gegenüber von meinem französischen Atelierfenster.
Heute ist es heiß, das Aggregat der ewigen Baustelle im Übernachbarshaus, links vom französischen Atelierfenster, in dem ich wohne, das elende Aggregat fährt permanent 60. Wenn ich sage, es fährt permanent 60, dann meine ich damit das Geräusch, das ein Motor macht, wenn man im zweiten Gang, einen Sechziger am Tacho, die Höhenstraße hinauffährt. Mit einem Bus kann man das. Der Busfahrer meines Übernachbarhausaggregats, ein Pole, ein Mazedonier, ein Banjalukaner, ein Kosovare, ein Istrier, ein Moldawier, Slawonier oder sonst ein von der bobovilleansässigen Eigentumswohnungsherrichtungsmafia Ausgebeuteter, fährt seit Tagen im dritten Gang die Höhenstraße rauf. Nie wird er dort ankommen, nie ein flammendes Hunnenschwert essen im Leopoldsbergrestaurant, nie in Kritzendorf ins Strombad springen. Nein, der Mazedonier, Banjalukaner, Kosovare, Istrier, Moldawier, Slawonier spritzt Feinputz an zukünftige Bobo-Eigentumswohnungswände. Ungekaufte. Ausbeuterisch errichtete. Seine zukünftigen Nachbarn, noch weiß es der Bobo nicht, der hier einst wohnen wird, verbringen ihre Sommernachmittagspausen unter den Platanen, in der ehemaligen polnischen Pizzeria.
pp 28-29 from Boboville by Andrea Maria Dusl