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Die Stadt ohne Juden - pp 139-140

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Ein Automobil mit Herrn Habietnik, einem sozialdemokratischen Nationalrat und einem bekehrten Gemeinderat fuhr vor und die Herren teilten Leo mit, daß er unbedingt mit ihnen zum Rathause fahren müsse, um sich der dort versammelten Menschenmenge zu zeigen und eine Ansprache des Bürgermeisters zu erdulden.
Sträuben nützte nichts, Leo mußte mit, aber Lotte, die die Garantie dafür übernahm, daß sie rechtzeitig zum Abendessen zurück sein würden, fuhr mit ihm.
Bis zum Schottentor verlief die Fahrt ganz glatt, dann stellte sich ein Hindernis ein. Die Menschenmassen standen hier so dicht aneinandergedrängt, daß das Auto nicht vorwärts kam. Worauf sich der Gemeinderat hinausbeugte und in bester Absicht, wenn auch mit wenig Zartgefühl den Leuten zuschrie:
»Laßt's uns durch! Der Herr Leo Strakosch, der erste Jud, der wieder in Wien ist, muß zum Rathaus!«
Diese Worte waren das Signal zu einem stürmischen Jubelschrei, und das Auto konnte zwar nicht durch, sondern mußte hier mit Lotte warten, aber Leo saß auch schon auf den Schultern zweier handfester Männer und wurde unter dem Jauchzen und Johlen und Hurra-Geschrei der Massen zum Rathaus getragen.
Das schöne Rathaus war wieder illuminiert, sah wieder wie eine brennende Fackel aus und mühsam nur konnten sich die Männer mit Leo auf den Schultern Bahn machen. Fanfarenklänge, Trompetentöne, der Bürgermeister von Wien, Herr Karl Maria Laberl, betrat den Balkon, streckte segnend seine Arme aus und hielt eine zündende Ansprache, die mit den Worten begann:
»Mein lieber Jude!- - «
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  Rathaus
Schottentor

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Deß zum Zeichen erhebt sich noch heute aus Zeiten vor einer anständigen Jahreszählung und Stadtchronik der sogenannte "Stock im Eisen". Das war einmal ein wichtiger alter Baum, eine Esche, eine Eicher oder so etwas, der stand mitten in der Stadt mit ihren Ringmauern, einen guten Steinwurf weit von dem Platz, auf dem sich heute der "Steffel" (Stephansdom) erhebt. Wirklich, dieser Struk steht heute noch da, mit Eisenbändern an den Marmorblock geschmiedet, der zum Fundament eines modernen Riesengebäudes gehört. Fremde kommen ihn sehen. Er ist von Eisentragen verbessert, wo er aus Alter und Schwere einknicken will. Aus Schwere: denn er ist über und über mit Eisennägeln beschlagen, dicht aneinander, wie von einem Klitterpanzer, und von dieser Haut ist er, neben dem Alter wie durch einen Anähnlichungsprozesß durch- und durchgeeisent. Er steht also auf einem Sockel in einer Nische. In dem Gebäude haust eine große Bank - in jeder Ecke haust heute natürlich eine Bank, früher waren es Cafes, hier entstanden die Banken an kleinen Tischchen bei langen Geschäftsgesprächen - und ein Reisebüro. Nämlich, der Baum im Eisen bekam soviel Nägel, weil jeder Handwerksbursch verhalten war, dort einen hineinzutreiben, wenn er Wien passierte; es war das ein religiöses Gleichnis und irgend ein heiliger Fluch wurde dabei gemurmelt. Aus der Schwere des Baumes im Eisen mag man nun erwägen, wie Viele ihrer da vorbeigekommen sein mögen.
pp 104-105 from Wien by Robert Müller

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"[...] ich strahle den Franz-Josefs-Kai und den Donaukanal und den Schottenring an, denn Ivan macht aus Übermut eine Rundfahrt um die Innere Stadt [...] haben zur Rechten die Universität, in die ich gegangen bin, aber sie steht nicht mehr da wie damals, nicht mehr bedrückend, und das Burgtheater, das Rathaus und das Parlament sind von einer Musik unterschwemmt, die aus dem Radio kommt [...]
pp 58- from Malina by Ingeborg Bachmann