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Die Arbeit der Nacht - pp 62-63
Dem Lift im Donauturm vertraute er sich nur zögernd an. Er wollte sich nicht ausmalen, was geschah, wenn der Aufzug steckenblieb. [...] Bis zur Spitze maß der Donauturm zweihundertzwanzig Meter. Als sich die Lifttür wieder öffnete, befand sich Jonas hundertfünfzig Meter über dem Erdboden. Auf dieser Höhe war die Aussichtsterasse. Eine Treppe führte hinauf zum Café. [...] Oft war er mit Marie hergekommen, die die Aussicht liebte und besonders die Kuriosität, daß sich das Café langsam um den Turm herum drehte. Ihm war das immer etwas seltsam erschienen, Marie hingegen hatte sich dafür wie ein Kind begeistert.
In der Betriebszentrale konnte man einstellen, wie lange das Café für die Umdrehug benötigte: 26, 40 oder 52 Minuten. Marie hatte es jedesmal fertiggebracht, daß der zuständige Techniker den Regler auf die 26 stellte. Einmal war der Mann mit der Uniform von ihr so hingerissen gewesen, daß er mit Anekdoten aufgetrumpft hatte, nur damit sie blieb. [...] Er erzählte, man konnte das Café schneller, viel schneller um den Turm drehen. Während der Bauarbeiten hätten die Beschäftigten, unter denen sein Onkel gewesen ist, der wiederum ihm davon berichtet habe, mit dem Mechanismus gespielt. Der Rekord sei bei elf Sekunden für eine Umdrehung gestanden, als sie erwischt worden waren. Seither verhinderte eine Sicherheitssplinte, daß jemand Unfug trieb. Die schnellen Umdrehungen kosteten viel Strom, waren darüber hinaus gefährlich.
In der Betriebszentrale konnte man einstellen, wie lange das Café für die Umdrehug benötigte: 26, 40 oder 52 Minuten. Marie hatte es jedesmal fertiggebracht, daß der zuständige Techniker den Regler auf die 26 stellte. Einmal war der Mann mit der Uniform von ihr so hingerissen gewesen, daß er mit Anekdoten aufgetrumpft hatte, nur damit sie blieb. [...] Er erzählte, man konnte das Café schneller, viel schneller um den Turm drehen. Während der Bauarbeiten hätten die Beschäftigten, unter denen sein Onkel gewesen ist, der wiederum ihm davon berichtet habe, mit dem Mechanismus gespielt. Der Rekord sei bei elf Sekunden für eine Umdrehung gestanden, als sie erwischt worden waren. Seither verhinderte eine Sicherheitssplinte, daß jemand Unfug trieb. Die schnellen Umdrehungen kosteten viel Strom, waren darüber hinaus gefährlich.
Near fragment in time
Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by
Near fragment in space
„Raus ins Freie … wir haben was zu besprechen …“
„Haben Sie Angst, dass wir hier abgehört werden?“
„Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“
Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.
„Wir denken zu engstirnig.“
„Aha … und was sollen wir anders machen?“
„Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“
„Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“
„Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig recht … aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Fall eine andere Sprache spricht … da steckt System dahinter …“
„Bestimmt … aber jedes System entsteht aus Knotenpunkten, Beziehungen … und die untersuchen wir gerade … oder verstehe ich da was nicht?“
„Nein, da haben Sie schon recht … das läuft natürlich weiter wie gehabt“, gab Schäfer zu und schloss für einen Moment die Augen, um sich seine Gedanken vom Vorabend in Erinnerung zu rufen.
„Der Mord hat etwas … was soll das … ausufernder Hass? Aber dafür ist das Vorgehen zu besonnen … das ist ja fast medizinisch … ein Prozedere … “
„Wir haben es mit einem Geisteskranken zu tun …“
„Das ziemlich sicher … nur: Er kommt und geht ohne Spuren, nichts haben wir gefunden, kein Haar, keine Textilfasern …“
„Ein akribischer Plan … ein intelligenter Mensch …“
„Unbedingt … deshalb macht mich das auch so nervös. Wir sind diesem Plan weit hinterher … und was uns in so einem Fall erfahrungsgemäß neue Ansätze bringt …“
„Ist hoffentlich kein zweiter Mord …“
„Das haben Sie jetzt gesagt … aber Sie haben leider Gottes sehr oft recht, Bergmann … schreiben Sie sich das ruhig in Ihre Komplimentemappe … dieser Mensch hat entweder zumindest ein paar Wochen darauf verwendet, diesen Mord zu planen, oder er hat Born gekannt … er hat gewusst, wann der allein zu Hause ist, wann er von niemandem überrascht wird … das ist kein Amateur, der sagt: So, Kinder, Abendessen fällt aus, ich gehe heute mal einen alten Naziknacker mit Säure übergießen … seid brav und um zehn ist der Fernseher aus … “
„Sie meinen, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon einmal getötet hat …“
„Ja … das ist zu professionell für einen Anfänger … Sie wissen, wie Serientäter anfangen … ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … ’tschuldigung … aus der Hölle, müsste ich wohl sagen … da bleibt was zurück … die sind nervös … in ihrem Rausch gefangen … erst beim zweiten oder dritten Mal wird die Inszenierung dann sorgfältiger … ach, ich kenne mich auch nicht mehr aus …“
Sie gingen eine Runde um die Rosenbeete, wobei Schäfer sich die Namensschilder jeder Züchtung ansah. Am liebsten hätte er seine Laufschuhe bei sich gehabt und wäre bis in den Wienerwald gelaufen; dieses Kribbeln unter der Haut, dieses übermäßige Schwitzen … er musste sich irgendwie körperlich verausgaben.
„Gehen Sie ohne mich zurück … ich habe noch was zu erledigen.“
Er querte den Heldenplatz und ging über Kohlmarkt und Graben zu einem Textilgeschäft, wo er eine Badehose und ein Handtuch kaufte. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Eine halbe Stunde in der Neuen Donau – das würde seinen Geist erfrischen, das käme der Arbeit nur zugute. Mit der U1 fuhr er zur Donauinsel, wo er die Uferpromenade entlangspazierte, bis er einen schattigen Platz unter ein paar Birken fand.
pp 75-77 from Der bessere Mensch by
„Haben Sie Angst, dass wir hier abgehört werden?“
„Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“
Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.
„Wir denken zu engstirnig.“
„Aha … und was sollen wir anders machen?“
„Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“
„Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“
„Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig recht … aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Fall eine andere Sprache spricht … da steckt System dahinter …“
„Bestimmt … aber jedes System entsteht aus Knotenpunkten, Beziehungen … und die untersuchen wir gerade … oder verstehe ich da was nicht?“
„Nein, da haben Sie schon recht … das läuft natürlich weiter wie gehabt“, gab Schäfer zu und schloss für einen Moment die Augen, um sich seine Gedanken vom Vorabend in Erinnerung zu rufen.
„Der Mord hat etwas … was soll das … ausufernder Hass? Aber dafür ist das Vorgehen zu besonnen … das ist ja fast medizinisch … ein Prozedere … “
„Wir haben es mit einem Geisteskranken zu tun …“
„Das ziemlich sicher … nur: Er kommt und geht ohne Spuren, nichts haben wir gefunden, kein Haar, keine Textilfasern …“
„Ein akribischer Plan … ein intelligenter Mensch …“
„Unbedingt … deshalb macht mich das auch so nervös. Wir sind diesem Plan weit hinterher … und was uns in so einem Fall erfahrungsgemäß neue Ansätze bringt …“
„Ist hoffentlich kein zweiter Mord …“
„Das haben Sie jetzt gesagt … aber Sie haben leider Gottes sehr oft recht, Bergmann … schreiben Sie sich das ruhig in Ihre Komplimentemappe … dieser Mensch hat entweder zumindest ein paar Wochen darauf verwendet, diesen Mord zu planen, oder er hat Born gekannt … er hat gewusst, wann der allein zu Hause ist, wann er von niemandem überrascht wird … das ist kein Amateur, der sagt: So, Kinder, Abendessen fällt aus, ich gehe heute mal einen alten Naziknacker mit Säure übergießen … seid brav und um zehn ist der Fernseher aus … “
„Sie meinen, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon einmal getötet hat …“
„Ja … das ist zu professionell für einen Anfänger … Sie wissen, wie Serientäter anfangen … ist noch kein Meister vom Himmel gefallen … ’tschuldigung … aus der Hölle, müsste ich wohl sagen … da bleibt was zurück … die sind nervös … in ihrem Rausch gefangen … erst beim zweiten oder dritten Mal wird die Inszenierung dann sorgfältiger … ach, ich kenne mich auch nicht mehr aus …“
Sie gingen eine Runde um die Rosenbeete, wobei Schäfer sich die Namensschilder jeder Züchtung ansah. Am liebsten hätte er seine Laufschuhe bei sich gehabt und wäre bis in den Wienerwald gelaufen; dieses Kribbeln unter der Haut, dieses übermäßige Schwitzen … er musste sich irgendwie körperlich verausgaben.
„Gehen Sie ohne mich zurück … ich habe noch was zu erledigen.“
Er querte den Heldenplatz und ging über Kohlmarkt und Graben zu einem Textilgeschäft, wo er eine Badehose und ein Handtuch kaufte. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Eine halbe Stunde in der Neuen Donau – das würde seinen Geist erfrischen, das käme der Arbeit nur zugute. Mit der U1 fuhr er zur Donauinsel, wo er die Uferpromenade entlangspazierte, bis er einen schattigen Platz unter ein paar Birken fand.
