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Die Arbeit der Nacht - pp 292-293
Im Kaufhaus Steffl in der Kärtnerstraße fuhr er mit dem Außenlift nach oben. [...] Hinter dem Tresen der Sky-Bar mixte er sich einen Cocktail. [...] Er setzte sich auf die Terasse. Von hier hatte er einen geradezu familiären Blick über die Innenstadt. Vor ihm ragte der Stephansdom auf. Die Bronzedächer ringsum glänzten in der sinkenden Sonne. Früher war er mit Marie oft hiergewesen. Das schicke Stammpublikum ließ sie von Zeiten träumen, in denen sie reich sein und sich dem Nichtstun ergeben würde, und sie schwärmte vom Weißwein, der ausgeschenkt wurde. Jonas hatte weder für die flotten jungen Leute etwas übriggehabt, noch Maries Begeisterung für den Wein teilen können, denn er trank keinen. Aber es hatte ihm beschauliche Zuversicht bereitet, hier mit ihr zu sitzen, am frühen Nachmittag, wenn das Lokal schwach besucht war und wenn am nächsten Tag eine Reise für sie bevorstand. In Ruhe auf der hölzernen Terasse den gedämpften Geräuschen der Stadt zu lauschen, den Blick auf die alte Kirche gerichtet. Einander ab und zu über den Tisch hinweg den Arm zu streicheln. Es waren sehr private Momente gewesen.
Near fragment in time
Im Anschluss suchte er frisch gestriegelt das k. k. Hof-Naturalienkabinett auf. Nach zwei Weltkriegen und einer untergegangenen Monarchie war es zwar in Naturhistorisches Museum umbenannt worden, doch das Fehlen des Adelstitels tat der Bewunderund Johannes Gerlitzen keinen Abbruch. Kaum dass er den aufsgestopften Hund des Museumsgründers Franz Stephan von Lothringen an der majestätischen Eingangestreppe betrachtet hatte, war er froh, so früh aufgestanden zu sein. Er blieb, bis ihn der Saalwächter nach Hause schickte, und hatte dennoch das Gefühl, nicht lange genug dort gewesen zu sein. Endlich sah Johannes Gerlitzen all die anderen Würmer, die nicht in seinem Darm gewesen waren und von denen er nur gelesen hatte: Bandwürmer, Fadenwürmer, Saugwürmer der Lunge, Saugwürmer der Leber, Schweinelungen gespickt mit Finnen und unzählige mehr. Es gab sogar Mikroskope, an die sich der Beuscher unter den Argusaugen des Saalwächters setzen konnte, um die Körper von Würmern vergrößtert zu bestaunen. Wie fein die Glieder waren! Wie stark ausgeprägt die Fangzähne! Johannes lief es kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, dass sich solche Zähne einst in der Innenwand seines Dünndarms verkeilt hatten. Die meiste Zeit verbrachte er im Saal der wirbellosen Weichtiere, aber er spazierte auch durch die anderen Säle des Obergeschosses. Die Steine und Mineralien im Parterre sparte er aus - inmitten der Vielfalt der Welt hatte er das Gefühl, in St. Peter sein Leben lang genug Steine gesehen zu haben. Manchmal bekam er Atemnot und musste sich setzen. All die Eindrücke überwältigten ihn, und er war überfordert von der Frage, wie er den Rest der Welt bisher hatte ignorieren können. Wie war es möglich, auf diesem gewaltigen Erdball zu leben, und nichts anderes zu kennen als den Ort, in dem man geboren und aufgewachsen war? Johannes Gerlitzen setzte sich auf einen Schemel und atmete tief ein. Im Naturhistorischen Museum roch es intensiv nach Alaun, Aluminiumgerbstoff und Borsäure. Die Saalwächter mussten aus diesem Grund nach einem Arbeitstag zwanzig Minuten mit sehr viel Seife duschen, doch für Johannes Gerlitzen war dies der Duft der Freiheit.
pp 38-39 from Blasmusikpop by
Near fragment in space
Wir treten hier hier auf den Stephansplatz. Da ist der riesenhafte Turm, der seinen alten ehrwürdigen Kopf hoch hinausstreckt über ganz Wien und den Fremden von allen Bergen her freundlich entgegenblickt; die ewige Poesie Wiens.
pp 37 from Bilder und Träume aus Wien by