« Back to Zeitgeist im Literatur-Café
Zeitgeist im Literatur-Café - pp 34-35
Café de l`Europe. Es befand sich - wie männiglich bekannt - auf dem Stefansplatz, neben dem Rothberger und vis-a-vis von der Gothik, im idealen Mittelpunkt der Stadt. Der Standort war Charakter, Eigenart, Spezialität, Schicksal - des Cafés? Ja. Aber noch mehr der Stadt. Keine Kirche in ihr ohne Café, kein Café ohne Kirche. Café, Kirche - das war ihr Wahrzeichen. So gehörte ihr Hauptplatz teils dem traulich-winkenden, idyllisch-engen Mittelalter, teils der weltstadtregen, pariserisch-balkanischen Neuzeit. Der Stefansturm vertritt die Traulichkeit, die Enge, das Mittelalter. Das Café de l`Europe vertrat die Weltstadt, Paris, den Balkan - gerade dem Turm gegenüber. Das bewirkte seinen topographischen Reiz, der sich besonders nächtlich wirksam entwickelte. Strahlendes Halbwelt- und Betriebslicht gegenüber den Konturen historischer Finsternis, Schwätzen und Schweigen auf einem Fleck.
Near fragment in time
In hastig hingefetzten, sich selber davonlaufenden, mit äußerster Willensanstrengung aufs Papier geschleuderten Sätzen gestand sich Heinrich im Tagebuch ein, was er inzwischen bei sich ausgeforscht hatte; Entdeckungen, die er vor sich nicht mehr geheimhalten konnte : daß er sexuell keineswegs so appetitlos sei, wie er bisher von sich angenommen habe; daß es, in Ermangelung anderer Geliebter, mit der Zuneigung zu sich selbst bei ihm immer ärger würde; daß ihn, im Türkenschanzpark, an genau definierter Stelle immer ein Drang erfasse, wo er, immer haargenau am gleichen Ort, beim Abort, dem Häuschen neben dem Eingangstor, immer ganz dringend aufs Klo eilen müsse; um dort, an der Pißwand, die peniblen Kunstwerke zu bewundern und, mit steigender Spannung, die Kleinstanzeigen zu lesen; daß er sich auf der Straße nicht nur nach Mädchen, nein pfuiteufelnochmal, noch öfter nach Jungen umzudrehn angewöhnt habe; nach schönen Jungen, natürlich; daß er den Jungen, den er in Griechenland kennengelernt habe, aufrichtig liebe; ja, daß bei ihm offensichtlich ein Hebel verkehrt eingesetzt, ein Ventil falsch montiert, eine Leitung vom Chef falsch angeschlossen worden sei, da sich bei ihm, oft genug schon vom bloßen Hinschaun, die Hose vorn spanne.
pp 97 from Der lange Gang by
Near fragment in space
Herr Kallisthenes Skuludis trat in das große Herrenmodegeschäft auf dem Graben ein und ließ sich von der Verkäuferin Krawatten zeigen. Er prüfte die einzelnen ihm vorgelegten Stücke mit Sorgfalt und Kennerschaft, warf die Bemerkung hin, daß er sich die Auswahl größer vorgestellt habe und daß man etwas wirklich Neues und zugleich Geschmackvolles in letzter Zeit nicht mehr zu sehen bekäme, und entschied sich schließlich für eine orangefarbene Krawatte aus schwerer, schillernder Seide, die er sich zu zwei anderen, schon vorher in anderen Geschäften erstandenen Stücken, in Seidenpapier einschlagen ließ. Nicht ganz befriedigt von seinem Einkauf, trat er auf die Straße.
pp 136 from Zwischen neun und neun by