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Das Vaterspiel - pp 281-282
Als wir noch im Meidlinger Gemeindebau gewohnt hat-ten, war der Wiener Großvater häufig bei uns zu Gast ge-wesen, er wohnte ein paar Häuser weiter, aber seit wir im neuen Haus lebten, war er nur ein einziges Mal zu Besuch gekommen. Er setzte sich auf die weiße Ledergarnitur und sagte: Das ist lächerlich. Er strich mit der Hand über das Leder, rutschte mit dem Körper vor und zurück, lehnte sich gegen den Rückenpolster und richtete seinen Körper wie-der auf. Er fragte: Habt ihr nicht einen anständigen Sessel im Haus?
Wir hatten keinen anständigen Sessel, jedenfalls keinen, der dem Großvater anständig genug war. Die Großmutter sagte, man müsste sich daran erst gewöhnen. Aber der Großvater fragte, wie soll man sich an so etwas Unbeque-mes gewöhnen? Hier ist es ja weiß wie in einem Sanato-rium. Man glaubt, jeden Augenblick könnte die Visite zur Tür hereinkommen. Und dieser Balkon da oben, wozu braucht ihr im Wohnzimmer einen Balkon? Ihr wohnt hier am Wienerwald, dort hinaus müsste der Balkon gehen. Und was steht denn da für eine komische Rakete?
Mein Vater sagte, das sei eine Vergrößerung der Zitrus-presse von Philippe Starck.
Eine Zitruspresse?, fragte mein Großvater. Wieso stellst du dir eine Zitruspresse ins Wohnzimmer?
Einzig das Guernica-Bild gefiel ihm. Aber in diesem Raum, sagte er, verliert es völlig an Bedeutung. Wenn man hier sitzt, hat man das Bild im Rücken.
Dann setz dich dort auf das Sofa, sagte mein Vater, dann hast du das Bild an der Seite und kannst immer hin-schauen.
So ein Bild will ich vor mir haben, sagte der Großvater, nicht an der Seite. Er stand auf und blickte sich weiter im Raum um. Dann fragte er: Habt ihr eigentlich keinen Fern-seher? Mein Vater ließ den Fernsehapparat aus der Kom-mode herausgleiten. Wenigstens das gefiel meinem Groß-vater. Er nahm die Fernbedienung in die Hand und ließ den Apparat ein paar Mal aus- und einfahren. Er schüttelte den Kopf und lachte dabei, als hätte er eine Spielzeugeisenbahn gekreigt. Nobel geht die Welt zugrunde, sagte er. Wir führ-ten ihn noch durch den Rest des Hauses, gingen mit ihm hinauf in den ersten Stock. Das Schlafzimmer meiner Eltern gefiel ihm einigermaßen. Er griff auf die geleimten Holzrundungen und sagte: Da steckt viel Arbeit drinnen. Aber vom Glaszimmer meiner Schwester und von meinem Eisenzimmer war er rundum entsetzt. Er fragte mich, wie ich es hier drinnen aushalte. Aber das wusste ich damals selbst noch nicht so ganz.
Lass ihn doch, sagte meine Großmutter. Die jungen Leu-te leben heute anders.
In einem Rosthaufen?, fragte der Großvater. Da wird man gemütskrank. So etwas Ungemütliches habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Beim Gästezimmer irritierte ihn der Sternenhimmel. Er starrte mit offenem Mund zur Decke hinauf. Und das leuchtet auch noch in der Nacht?, fragte er. Da bin ich ja froh, dass ich in Wien wohne und hier nicht übernachten muss.
Mein Großvater konnte sich nicht beruhigen und kam, solange die Familie noch intakt war, nie wieder in unser Haus. Ich dachte damals, es sei eine Geschmackssache und der Großvater sei einfach unfähig, mit der Zeit zu gehen. Später begriff ich, dass es ihm um etwas ganz anderes ging. Er war der Meinung, ein sozialdemokratischer Politiker dürfte sich in seinem Lebensstil nicht so weit von seinen Wählern entfernen.
Wir hatten keinen anständigen Sessel, jedenfalls keinen, der dem Großvater anständig genug war. Die Großmutter sagte, man müsste sich daran erst gewöhnen. Aber der Großvater fragte, wie soll man sich an so etwas Unbeque-mes gewöhnen? Hier ist es ja weiß wie in einem Sanato-rium. Man glaubt, jeden Augenblick könnte die Visite zur Tür hereinkommen. Und dieser Balkon da oben, wozu braucht ihr im Wohnzimmer einen Balkon? Ihr wohnt hier am Wienerwald, dort hinaus müsste der Balkon gehen. Und was steht denn da für eine komische Rakete?
Mein Vater sagte, das sei eine Vergrößerung der Zitrus-presse von Philippe Starck.
Eine Zitruspresse?, fragte mein Großvater. Wieso stellst du dir eine Zitruspresse ins Wohnzimmer?
Einzig das Guernica-Bild gefiel ihm. Aber in diesem Raum, sagte er, verliert es völlig an Bedeutung. Wenn man hier sitzt, hat man das Bild im Rücken.
Dann setz dich dort auf das Sofa, sagte mein Vater, dann hast du das Bild an der Seite und kannst immer hin-schauen.
So ein Bild will ich vor mir haben, sagte der Großvater, nicht an der Seite. Er stand auf und blickte sich weiter im Raum um. Dann fragte er: Habt ihr eigentlich keinen Fern-seher? Mein Vater ließ den Fernsehapparat aus der Kom-mode herausgleiten. Wenigstens das gefiel meinem Groß-vater. Er nahm die Fernbedienung in die Hand und ließ den Apparat ein paar Mal aus- und einfahren. Er schüttelte den Kopf und lachte dabei, als hätte er eine Spielzeugeisenbahn gekreigt. Nobel geht die Welt zugrunde, sagte er. Wir führ-ten ihn noch durch den Rest des Hauses, gingen mit ihm hinauf in den ersten Stock. Das Schlafzimmer meiner Eltern gefiel ihm einigermaßen. Er griff auf die geleimten Holzrundungen und sagte: Da steckt viel Arbeit drinnen. Aber vom Glaszimmer meiner Schwester und von meinem Eisenzimmer war er rundum entsetzt. Er fragte mich, wie ich es hier drinnen aushalte. Aber das wusste ich damals selbst noch nicht so ganz.
Lass ihn doch, sagte meine Großmutter. Die jungen Leu-te leben heute anders.
In einem Rosthaufen?, fragte der Großvater. Da wird man gemütskrank. So etwas Ungemütliches habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Beim Gästezimmer irritierte ihn der Sternenhimmel. Er starrte mit offenem Mund zur Decke hinauf. Und das leuchtet auch noch in der Nacht?, fragte er. Da bin ich ja froh, dass ich in Wien wohne und hier nicht übernachten muss.
Mein Großvater konnte sich nicht beruhigen und kam, solange die Familie noch intakt war, nie wieder in unser Haus. Ich dachte damals, es sei eine Geschmackssache und der Großvater sei einfach unfähig, mit der Zeit zu gehen. Später begriff ich, dass es ihm um etwas ganz anderes ging. Er war der Meinung, ein sozialdemokratischer Politiker dürfte sich in seinem Lebensstil nicht so weit von seinen Wählern entfernen.
Near fragment in time
Diese vielen ekelhaften Menschen, Menschen, nun, diese vielen ekelhaften Erscheinungen im damit vollgestopften Autobus 74 A, die Landstraßer Hauptstraße hinauf oder hinunter, welche Qual, ihnen mehrmals täglich ausgesetzt zu sein, ihnen und ihren mitgeführten, mit sich getragenen Schicksalen, Lebensgestaltungen, Alltagsbewältigungen, Kinderwagen, Krücken; Inländer, Ausländer, Wiener, Asiaten, gleichviel, nein, gleichviel nicht, die Wiener, die 'Hiesigen', sind allemal scheußlicher, Paare vor allem, alte und ältere, verstunkene Wiener Ehepaare, wie sie hereinzittern 'in den Autobus', wie sie hinauszittern 'aus dem Autobus', dem Autobus 74 A, fürsorglich um einander bemüht und eben deshalb einander abrundtief gram, wie ich sie hasse!
pp 51 from Kalte Herberge by
Near fragment in space
Eines Tages fuhr meine Großmutter, ohne das Wissen ihres Mannes, mit der Bahn nach Wien, im mich, ihr Enkelkind, zu sehen. Mein verblüffter Großvater fand am Nachmittag, als er von der Schule heimkam, eine entsprechende Nachricht vor. Er setzte sich sofort ins Auto und fuhr ebenfalls nach Wien. Eigentlich wollte er meine Großmutter daran hindern, die Wohnung ihrer Tochter zu betreten, aber er kam zu spät.
Meine Eltern wohnten damals in einer kleinen Gemeindewohnung in der Bonygasse im Stadtbezirk Meidling, nicht weit von der Gemeindewohnung meiner Wiener Großeltern, aber auch nicht weit von der Hauptschule am Henriettenplatz, von der meine Mutter ein paar Monate früher in Mutterschaftsurlaub gegangen war. Als mein Großvater bei der Wohnung eintraf, läutete er und rief, ohne eine Reaktion abzuwarten, meiner Großmutter zu, sie solle sofort herauskommen. Meine Großmutter öffnete die Tür. Mein Großvater sah mich in den Armen der Großmutter und war zunächst sprachlos. Miene Großmutter sagte: Du kannst hereinkommen, er ist nicht da. Mein Großvater kam auf mich zu, kitzelte mich unterm Kinn und folgte uns in die Wohnung. Von da an gab es ein paar Jahre, in denen meine Eltern und die Scheibbser Großeltern miteinander verkehrten. Meine Mutter fuhr mit mir zwei-, dreimal im Jahr nach Scheibbs. Mein Vater war hin und wieder dabei. Meist fuhr er nach einem Begrüßungsschluck gleich wieder fort
pp 69-70 from Das Vaterspiel by
Meine Eltern wohnten damals in einer kleinen Gemeindewohnung in der Bonygasse im Stadtbezirk Meidling, nicht weit von der Gemeindewohnung meiner Wiener Großeltern, aber auch nicht weit von der Hauptschule am Henriettenplatz, von der meine Mutter ein paar Monate früher in Mutterschaftsurlaub gegangen war. Als mein Großvater bei der Wohnung eintraf, läutete er und rief, ohne eine Reaktion abzuwarten, meiner Großmutter zu, sie solle sofort herauskommen. Meine Großmutter öffnete die Tür. Mein Großvater sah mich in den Armen der Großmutter und war zunächst sprachlos. Miene Großmutter sagte: Du kannst hereinkommen, er ist nicht da. Mein Großvater kam auf mich zu, kitzelte mich unterm Kinn und folgte uns in die Wohnung. Von da an gab es ein paar Jahre, in denen meine Eltern und die Scheibbser Großeltern miteinander verkehrten. Meine Mutter fuhr mit mir zwei-, dreimal im Jahr nach Scheibbs. Mein Vater war hin und wieder dabei. Meist fuhr er nach einem Begrüßungsschluck gleich wieder fort