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Widerhall des Herzens. Ein Peter Altenberg-Buch

Helga Malmberg
January 1961
January 1961
QuoteDas Stammlokal der literarischen Welt im Ersten Bezirk war damals das 'Café Central', ein Eckhaus der Herrengasse. Schon die Baulichkeiten waren originell. Man trat zuerst in einen düsteren Vorsaal mit tiefen Fensternischen. Hier herrschte stets eine kühle Dämmerung, die ideale Beleuchtung für Stubenhocker und Eigenbrötler. Dann ging man durch einen schmalen Gang und gelangt in eine Art Hof mit Oberlicht, zu dem eine kleine Stiege mit breiten Stufen hinaufführte. Der große Saal war eigentlich ein Gewölbe ohne Decke. Der Rauch verteilte sich daher bis unter das hohe Glasdach. Im Gegensatz zum Vorraum war dieser Hof sehr hell und luftig. Hier waren die Stammtische der einzelnen Künstler, die absolut tabu waren, die Insel der Schachspieler, die Oase der Domino-Liebhaber, die Ecke, wo man Billard spielte. Alle diese Abteilungen mit ihren Zuschauern und Kiebitzen waren durch genügend Raum voneinander getrennt. Keiner störte den anderen. Hier trafen sich Künstler jeder Art: Dichter, Schriftsteller, Maler, Bildhauer und zugleich jene kunstbegeisterten bürgerlichen Kreise, die sich für alles Neue und Außergewöhnliche interessierten.

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QuoteEin Tisch im Café Central war der Jugend gewidmet. Hier hatte der liebenswürdige, hochbegabte Karl Adler, der Sohn des Arbeiterführers Victor Adler, den Vorsitz, strahlend schön, eine blonde Siegfriedserscheinung. In der heutigen Zeit wäre er sicherlich der Champion eines berühmten Sportteams. Damals aber atmete er seine Lebensluft in einem Kaffeehaus. Dort saß er, rauchte, plauderte mit seinen Freunden, machte große Pläne für die Zukunft und schrieb Dinge, die nie gedruckt wurden. Als er einmal im Sommer Ea bei einer Freundin in der Schweiz besuchte, sagte er angesichts der schönsten Alpenkette mit seinem treuherzigen Lächeln: "Schön haben Sie`s hier; aber im Central ist es doch am schönsten, gelt?"

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QuoteWenn ich durcharbeitete, konnte ich schon um fünf Uhr im Café Central sein, wo ich nacheinander alle meine Freunde traf. Sobald Jean mich erblickte, brachte er mir meine Lieblingsjause: einen Tee mit Zitrone und einen 'débardeur', eine schwarze Brotschnitte, mit einer Mischung von Sardinen und Kaviar belegt, darauf lag eine Zitronenscheibe. Auch dieser Leckerbissen ist, wie so vieles andere, von der Speisekarte der Kaffeehäuser verschwunden.

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QuoteIch kannte sie ja gar nicht. So bereitete ich einstweilen das Frühstück, und wir aßen beide mit gutem Appetit. Danach sagte sie entschlossen: "I dank Ihna schön, Fräulein, und jetzt geh i zu meinem Franzl." "Und was werden Sie heute abend machen?" "Des waß i no net, aber wann i wiederkommen dürft..." "So gern ich es täte, ich halte es für ausgeschlossen, daß Frau Seiller es erlauben würde. Aber wissen Sie was, kommen Sie am Abend, so gegen sechs Uhr, ins Café Central. Sie werden mich im hinteren Hof treffen. Fragen Sie nur den Kellner nach dem Peter Altenberg-Tisch."

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QuoteAls ich in Wien ankam, fühlte ich mich zu ermüdet, um sogleich ins Sanatorium zu fahren. Ich nahm einen Einspänner und fuhr ins Café Central. Ich hatte das Gefühl, daß der Zahlkellner Jean über alles viel besser informiert sein würde als jeder Arzt. Ich hatte mich nicht getäuscht. Rührend war die Freude dieses einfachen Menschen, als er mich erblickte. Er brachte mir sofort ein vollkommenes 'Wiener Frühstück' und erzählte mir alles über Peter. Dieses Mal schien es wirklich schlimmer denn je um ihn zu stehen. Er war mehrere Tage nicht aufgestanden und nicht im Central erschienen. Schließlich besuchte Karl Kraus ihn.(...) Dann rief ich Karl Kraus an, den zweiten Zuverlässigen. Auch an ihm habe ich niemals eine Enttäuschung erlebt. Er war ein Mensch, der Peter wirklich verstand und ihn liebte. Er wußte ihn nach seiner literarischen Bedeutung zu würdigen, vor allem aber war er ein selbstloser Freund. Ich traf ihn am Nachmittag im Café Imperial, wo wir nicht so beobachtet waren wie im Central. Als ich seinen freundlichen, warmen Blick auf mir ruhen fühlte, wurde mir leichter ums Herz.

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QuoteUnd eines Tages war es so weit, daß ich Peter wiedersehen sollte. Er hatte mir beschwörende Briefe geschrieben und mich angefleht, mit ihm zusammenzukommen. Ich fühlte, daß ich es ihm nicht abschlagen konnte, obwohl Genia mir mit ihrer verständigen Art davon abriet. Es war sechs Uhr abends, als ich den Hof des Café Central wieder betrat, in dem ich so lange nicht gewesen war. Die vertraute Atmosphäre schlug mir entgegen, und ich fühlte mich, als sei ich in eine alte Heimat zurückgekehrt. Ich schaute nach den Tischen, an denen meine Freunde zu sitzen pflegten. Vor allem aber blicke ich nach dem Platz an der Ecke, wo Peter immer saß. Und er war schon da, obwohl es für ihn eine ungewohnt frühe Stunde sein mußte.

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