Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden
Ich nahm mein Heft heraus und schrieb Folgendes: 'Er bog ab und ging südlich weiter, hinauf zur Rotenturmstraße, überquerte den Stephansplatz. Ecke Graben kam ihm Wilma entgegen. Er küsste sie auf die Wange. Sie schaute ihn an, wollte was fragen. "Wohin des Weges?", fragte er. "Ich glaub, ich geh heim. Und du?" "Bräunerhof. Deutsche Zeitungen lesen." Wilma blickte auf die Uhr:"Eine halbe Stunde." "Fein", sagte Demant. "Die Süddeutsche kann warten." Vor der Dorotheergasse blieb Wilma abrupt stehen. "Ich geh doch lieber heim." Sie küsste ihn jetzt rasch auf die Wange, ging zum Stephansplatz zurück. Demant zuckte die Achseln, marschierte am Hawelka vorbei, blieb vor der Casanovabar stehen, um die Fotographien der Nackten zu betrachten. Im Bräunerhof bestellte er sich einen großen Mokka und suchte dann die Süddeutsche. "Ist in der Hand", sagte der Ober Ferdinand. Demant holte sich also die Frankfurter Allgemeine und begann zu lesen. Er las und las und war gar nicht dabei. Seine Gedanken schwebten über den Zeilen, hielten sich aber noch zwischen der Zeitung und seinen Augen. Nach einer Viertelstunde aber flogen sie davon.' Also schrieb ich lustig dahin, dass die Schwarten krachten, bosselte den werdenden Roman GEBÜRTIG.
Wer in Wien ins Kaffeehaus geht, der geht heim. Ich habe zwar daheim kein Kaffeehaus als Zuhause, aber im Kaffeehaus bin ich selbstverständlich daheim. Wenn wir unser Kaffeehaus betreten, sind wir im Selbstverständlichen eingewohnt. Das Café Bräunerhof ist ein Ort, im welchem die Zeit aufbewahrt wird. Es ist alles wie immer. Echter Marmor, stabile Tische, Plüsch, Zeitungen, Ober im Smoking, das Glas Wasser zum Kaffee, und in der Mitte des Etablissements befindet sich jene Vorrichtung, in der die Zeit gestapelt, gepackt und schließlich vernichtet wird. Allerlei Leute wohnen im Bräunerhof. Sie sitzen, nachdem sie erschienen sind, um die Tische, lesen Zeitung, essen süßes Zeug, das in Wien so bitterlich herrlich schmeckt, nippen an den diversen Kaffeearten, großer Brauner, Melange, Einspänner, Kapuziner, Schale Gold, Mokka, Verlängerter, also sieben Kaffees, bis die Schalen leer sind.
Thomas Bernhard war schon längere Zeit nicht mehr hier gewesen, sondern in Spanien, dann kam er zurück und starb. Dies war dem Bräunerhof ebenso gleichgültig wie das Fertigwerden meines Romans. Viele Jahre war ich hernach nicht mehr dort. In Wien ists egal, wohin ich nachhaus geh, einmal dahin, einmal dorthin. Heute gehe ich wieder ins Bräunerhof. Es ist alles wie immer. Der Ober weist mir den Platz zu. "Wo ist der Herr Ferdinand?" "Gestorben. Vor fünf Jahren." "Eine Melange." "Bittä sähr." Keine Veränderung. Rasender Stillstand.
Der Textsalat aus meinem Schädel, der sich eben anschickte, via Hand sich ins Schreibheft zu verfügen, fiel in sich zusammen, obwohl ich augenblicklich die Augen gesenkt hatte. Nach einigen Herztakten wiederholte ich den Blick, dessen Arroganz sich unversehens in Ehrfurcht verwandelte. Der Zeitgenosse bemerkte, dass ich bemerkte, wie er mich gemustert hatte, neigte seinen Kopf, als ob er ein zweifelnd-zustimmendes Nicken andeuten wollte, und zog sich hinter die Zeitung zurück, sodass ich einen Mann hinter der Zeitung vor mir hatte. Einige Wochen saß also immer wieder einmal Thoas Bernhard im Café Bräunerhof und gab dem ihm unbekannten Drauflosschreiber seine ironische Zustimmung in dieser Art: Was wird schon herauskommen? Pofel! Aber besser Schreiben als Nasenbohren & Dummschwätzen, wie hierzulande üblich.
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