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Bis zur Neige - Ein Fall für Berlin und Wien - pp 74-75

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Am Sonntagmittag war es kein Problem, in der Nähe des Wilhelminenspitals einen Parkplatz zu finden. Das Gelände rund ums Krankenhaus war menschenleer, die Luft flirrte über dem Asphalt. Anna ging am Pförtnerhäuschen vorbei, ohne dass jemand Notiz von ihr nahm. Nach der Schranke wählte sie die Nummer, die Hans Friedelhofer ihr am Vormittag per SMS geschickt hatte. »Friedelhofer.« »Habel. Ich wär jetzt da.« »Wo sind Sie denn?« »Hinter dem Schranken, gleich vor der Direktion.« Das Wilhelminenspital war eines jener Krankenhäuser, die im Pavillonstil erbaut worden waren. Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und immer wieder erweitert, wechselten sich auf einem riesigen Areal in einem wilden Mix verschiedenste Baustile ab. »Okay, ich geh mal zum Fenster, ah ja, ich kann Sie schon sehen. Gehen Sie einfach geradeaus, hinter den Bäumen sehen Sie ein großes Gebäude.« »Diesen alten, verfallenen Kasten?« »Jawohl. Dieser alte, verfallene Kasten ist ein denkmalgeschützter Jugendstilbau.« »Entschuldigung. Und jetzt?« Anna stand vor einem großen braunen Gebäude mit abgeblättertem Verputz. Eingangstür sah sie keine, lediglich eine große Rampe, an deren Stirnseite in roten Buchstaben Ladezone gepinselt war. »Ja, hier sind Sie richtig.« Die Stimme aus ihrem Handy bemerkte wohl ihr Zögern. »Fahren Sie mit dem Aufzug in den dritten Stock, ich warte da auf Sie.« Anna stieg in einen Lift, in dem man problemlos fünf Krankenbetten gleichzeitig hätte transportieren können, und war insgeheim froh, dass es sonntagmittags ruhig zuging auf der Pathologie. Im dritten Stock öffneten sich ächzend die Lifttüren, vor Anna stand ein kleiner, schmaler Mann, etwa in ihrem Alter, und die runde Brille, die er trug, verlieh ihm etwas Jungenhaftes. »Guten Tag. Ich bin Hans Friedelhofer.« »Schön. Ich hoffe, Sie haben wirklich was für mich! Bei dieser Hitze könnt ich mir schönere Aufenthaltsorte vorstellen.« »Das kann ich mir denken, aber Sie werden es nicht bereuen. Wir gehen gleich an einen Ort, der Sie entschädigen wird.« Anna folgte dem Arzt durch die menschenleeren Gänge, und sie kamen auf eine riesige Terrasse, auf der ein paar alte Tische und Stühle standen.
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  Wilhelminenspital

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Leo Zelman beschrieb das Verhalten der österreichischen Bevölkerung gegenüber ihm als Juden pragmatisch anhand zweier Sequenzen: einer Begegnung mit dem Onkel einer Bekannten, in deren Haus er zum Essen eingeladen war.
„ […] hab ich kennen gelernt eine richtige = [lacht] Lotte, hat sie geheißen. Mädchen, dass ich mich dran erinnere. Und ihre Mutter ist zu mal gekommen und hat gesagt, Ich hab von Ihnen gehört, kommen Sie doch mal zu Weihnachten. Nach Hause zu uns in die Herrengasse. Und ich hab schon damals gewohnt am Schotten=, nicht am Schottenring, sondern am Rudolfsplatz Und ich bin dort hingekommen, natürlich auch ein Care-Paket mitgenommen, und dort konnte= der hat nicht mehr gelebt, er ist gefallen, und der Onkel ist gekommen. Und der Onkel hat schon getrunken war eines= das hat mich damals so angeekelt, seit damals trink ich keinen Wein. Und dreht sich um „Von wo bist du?“, sag ich „Ich bin von Lodz“. Wahrscheinlich hat er geglaubt, dass ich ein Volksdeutscher bin, ich hab schon ein bisschen deutsch gesprochen. Sagt er [laut am Anfang], „Na, in Lodz haben‘s wir den Juden dort gezeigt!“[laut Ende] Ich bin so blass geworden, so erschocken worden, es war ein kalter Winder, von der Herrengasse bis am Rudolfsplatz gelaufen ohne Mantel, ist mir nachgelaufen, äh, die - Lotte ist mir nachgelaufen mit dem Mantel ich bin, äh, ohne Mantel weggerannt aber ganz 0 äh […?] ich war ganz nervenschwach, hab nicht schlafen können.
pp 122 from Rückkehr in die Außenwelt: Öffentliche Anerkennung und Selbstbilder von KZ-Überlebenden in Österreich by Melanie Dejnega

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Als ich einmal einem Assistenten im In-stitut für Publizistik das neue PressWriter-Programm auf die Festplatte kopierte, sagte er zu mir, er kenne einen Schriftsteller, der habe ein kompliziertes Problem, ob er ihm meine Telefonnummer geben dürfe. Der Schriftsteller rief mich dann an. Er wollte ein Lexikon, in dem die Wör-ter alphabetisch nach den zweiten Buchstaben geordnet waren. Als ich sagte, ich hielte es durchaus für möglich, ein Lexikonprogramm in dieser Weise umzugestalten, bat er mich, ihm auch noch einen Ausdruck zu machen, in dem die Wörter nach den dritten Buchstaben geordnet seien. Er schriebe an einem Text, in dem die Aufeinanderfolge der zweiten und dritten Buchstaben einen Subtext bildeten, der für den gewöhnlichen Leser nicht erkennbar sein solle. Ich verstehe, sagte ich, wie ein CD-Bonus-Track mit einem Quick-Time-Video, das nur der Computer erkennt. Ich bin nicht sicher, ob er verstand, was ich meinte, aber er war nun überzeugt, dass ich ihm helfen konnte. Die eigentliche Arbeit war in eineinhalb Stunden erledigt. Ich nahm eines der üblichen Software-Wörterbücher und übertrug es in ein Excelprogramm, wobei ich jedem Buchstaben eine Spalte zuordnete. Danach musste ich das Ganze nur noch vom Computer Spalte für Spalte alphabetisch sortieren lassen. Am längsten benötigte der Ausdruck. Zwei Wochen später rief ich den Schriftsteller an und sagte, dass es mir nun end-lich gelungen sei, seinen Wünschen zu entsprechen. Es sei eine heidenarbeit gewesen. Wir verabredeten einen Über-gabetermin im Café Museum. Der Schriftsteller blätterte und blätterte und drückte dann die Blätter ans Herz, als würden sie ihm das Leben retten. Wie viel bekommen Sie?, fragte er.
Ich sagte, das Umsortieren eines Lexikons sei schon eine verdammt komplizierte Sache, und er sagte, kann ich mir vorstellen. Daraufhin sagte ich: Fünftausend Schilling, und der Schriftsteller sagte, das ist absolut in Ordnung, ich ha-be mich schon auf ganz andere Summen gefasst gemacht. Er gab mir fünftausend Schilling und fragte, ob er eine Rechnung haben könnte. Und da ich in seiner Geldbörse noch viel mehr Scheine sah, sagte ich, bei einer Rechnung kommt die Mehrwertsteuer dazu, und dann kostet es sechstausend Schilling. Der Schriftsteller gab mir einen weiteren Tausender und ich stellte auf dem umgedrehten Deckblatt seines neuen Lexikons meine erste Rechnung aus. Ich fuhr vom Café Museum zum Igel nach Ottakring. Der Igel war ein professioneller Amsterdam-Tourist. Er stank nach Schweiß, wie nie wieder ein Mensch nach Schweiß wird stinken können. Vielleicht war das der Grund, warum er sich als Dealer halten konnte. Es wollte ihm einfach keiner zu nahe kommen. Der Igel gab mir für die sechstausend Schilling eine schöne Platte, die aussah wie Bitterschokolade. Damit konnte ich mich ein paar Mo-nate in meinem Hinterhof vergraben.
pp 339-340 from Das Vaterspiel by Josef Haslinger