« Back to Das Vaterspiel
Das Vaterspiel - pp 339-340
Als ich einmal einem Assistenten im In-stitut für Publizistik das neue PressWriter-Programm auf die Festplatte kopierte, sagte er zu mir, er kenne einen Schriftsteller, der habe ein kompliziertes Problem, ob er ihm meine Telefonnummer geben dürfe. Der Schriftsteller rief mich dann an. Er wollte ein Lexikon, in dem die Wör-ter alphabetisch nach den zweiten Buchstaben geordnet waren. Als ich sagte, ich hielte es durchaus für möglich, ein Lexikonprogramm in dieser Weise umzugestalten, bat er mich, ihm auch noch einen Ausdruck zu machen, in dem die Wörter nach den dritten Buchstaben geordnet seien. Er schriebe an einem Text, in dem die Aufeinanderfolge der zweiten und dritten Buchstaben einen Subtext bildeten, der für den gewöhnlichen Leser nicht erkennbar sein solle. Ich verstehe, sagte ich, wie ein CD-Bonus-Track mit einem Quick-Time-Video, das nur der Computer erkennt. Ich bin nicht sicher, ob er verstand, was ich meinte, aber er war nun überzeugt, dass ich ihm helfen konnte. Die eigentliche Arbeit war in eineinhalb Stunden erledigt. Ich nahm eines der üblichen Software-Wörterbücher und übertrug es in ein Excelprogramm, wobei ich jedem Buchstaben eine Spalte zuordnete. Danach musste ich das Ganze nur noch vom Computer Spalte für Spalte alphabetisch sortieren lassen. Am längsten benötigte der Ausdruck. Zwei Wochen später rief ich den Schriftsteller an und sagte, dass es mir nun end-lich gelungen sei, seinen Wünschen zu entsprechen. Es sei eine heidenarbeit gewesen. Wir verabredeten einen Über-gabetermin im Café Museum. Der Schriftsteller blätterte und blätterte und drückte dann die Blätter ans Herz, als würden sie ihm das Leben retten. Wie viel bekommen Sie?, fragte er.
Ich sagte, das Umsortieren eines Lexikons sei schon eine verdammt komplizierte Sache, und er sagte, kann ich mir vorstellen. Daraufhin sagte ich: Fünftausend Schilling, und der Schriftsteller sagte, das ist absolut in Ordnung, ich ha-be mich schon auf ganz andere Summen gefasst gemacht. Er gab mir fünftausend Schilling und fragte, ob er eine Rechnung haben könnte. Und da ich in seiner Geldbörse noch viel mehr Scheine sah, sagte ich, bei einer Rechnung kommt die Mehrwertsteuer dazu, und dann kostet es sechstausend Schilling. Der Schriftsteller gab mir einen weiteren Tausender und ich stellte auf dem umgedrehten Deckblatt seines neuen Lexikons meine erste Rechnung aus. Ich fuhr vom Café Museum zum Igel nach Ottakring. Der Igel war ein professioneller Amsterdam-Tourist. Er stank nach Schweiß, wie nie wieder ein Mensch nach Schweiß wird stinken können. Vielleicht war das der Grund, warum er sich als Dealer halten konnte. Es wollte ihm einfach keiner zu nahe kommen. Der Igel gab mir für die sechstausend Schilling eine schöne Platte, die aussah wie Bitterschokolade. Damit konnte ich mich ein paar Mo-nate in meinem Hinterhof vergraben.
Ich sagte, das Umsortieren eines Lexikons sei schon eine verdammt komplizierte Sache, und er sagte, kann ich mir vorstellen. Daraufhin sagte ich: Fünftausend Schilling, und der Schriftsteller sagte, das ist absolut in Ordnung, ich ha-be mich schon auf ganz andere Summen gefasst gemacht. Er gab mir fünftausend Schilling und fragte, ob er eine Rechnung haben könnte. Und da ich in seiner Geldbörse noch viel mehr Scheine sah, sagte ich, bei einer Rechnung kommt die Mehrwertsteuer dazu, und dann kostet es sechstausend Schilling. Der Schriftsteller gab mir einen weiteren Tausender und ich stellte auf dem umgedrehten Deckblatt seines neuen Lexikons meine erste Rechnung aus. Ich fuhr vom Café Museum zum Igel nach Ottakring. Der Igel war ein professioneller Amsterdam-Tourist. Er stank nach Schweiß, wie nie wieder ein Mensch nach Schweiß wird stinken können. Vielleicht war das der Grund, warum er sich als Dealer halten konnte. Es wollte ihm einfach keiner zu nahe kommen. Der Igel gab mir für die sechstausend Schilling eine schöne Platte, die aussah wie Bitterschokolade. Damit konnte ich mich ein paar Mo-nate in meinem Hinterhof vergraben.
Near fragment in time
Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg war die Judengasse Ausläufer des so genannten Textilviertels, auch „Fetzenviertel genannt. Die Geschichte dieses Viertels ist gleichzeitig Teil der Wiener jüdischen Geschichte. Die Aufhebung des Zunftzwangs eröffnete den Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch den Weg in den Detailhandel, einer der bevorzugten Zweige war der Textilhandel, der hier im ersten Bezirk rund um die Marc-Aurel-Straße und den Salzgries sein Zentrum fand.
pp 66 from Jüdisches Wien - Stadtspaziergänge by ,
Near fragment in space
Tamara zog ihre zu weite Hose etwas hoch und ließ sich in den Schneidersitz sinken.
"Was machen wir jetzt?" Mit meinen Schuhspitzen schob ich platt getretene Zigarettenstummel zur Seite.
"Jetzt sitzen wir da."
"Warum?"
"Weil man das so tut, dasitzen und Bier trinken und die Leute fragen, ob sie einem Geld geben."
Ich setzte mich auf den Boden, ein Mädchen mit Dreadlocks ging vorbei. Sie trug neue Adidas-Sneakers, die so weiß waren wie Gletscherschnee vor der industriellen Revolution. Dabei dachte ich an die Schule, daran dass dort gerade Mittagspause war, an den Vorteil von Jausengeld und an meinen leeren Magen.
Tamara holte eine Dose Bier aus den Untiefen ihrer Hosentasche. Wir tranken. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an die Steinwand, alles um mich herum verwandelte sich in ein Rauschen, in dem ich meinen Hunger vergaß. In regelmäßigen Abständen zogen die Junkies an uns vorei, mit ihren monotonen "Substi, Substi"-Rufen, die zuerst kürzer und dann wieder länger wurden, je nachdem ob sie sich näherten oder entfernten.
"Dopplereffekt", kicherte Tamara, und ich wusste nicht, ob sie nun den physikalischen oder den alkoholischen meinte.
Irgenwann in ihrem Leben hatte Tamara die eine oder andere Bildungseinrichtung besucht und mit großer Wahrscheinlichkeit sogar studiert. Aber konkreten Fragen über ihr Leben wich sie aus. Manchmal sagte sie etwas über Quanten und Strings und Quarks und Spins, dabei verdunkelte sich ihr sonst so helle Iris, sie kniff die Augen zusammen, ihre feinen Fältchen wurden sichtbar, und sie raufte sich die ohnehin in alle Richtung abstehenden Haare. Leider hatte sie zwischen ihr Wissen Lücken gesoffen, sodas die Zusammenhänge für sie nur noch schwer herstellbar waren.
"Gib mir die Schnapsflasche", sagte sie immer, wenn ich etwas von ihr wissen wollte, "dann geht es leichter."
Aber leicht ging nur noch eines: was man in welcher Form rauchen, spritzen oder schnupfen konnte und was besser nicht.
pp 13-15 from Chucks by
"Was machen wir jetzt?" Mit meinen Schuhspitzen schob ich platt getretene Zigarettenstummel zur Seite.
"Jetzt sitzen wir da."
"Warum?"
"Weil man das so tut, dasitzen und Bier trinken und die Leute fragen, ob sie einem Geld geben."
Ich setzte mich auf den Boden, ein Mädchen mit Dreadlocks ging vorbei. Sie trug neue Adidas-Sneakers, die so weiß waren wie Gletscherschnee vor der industriellen Revolution. Dabei dachte ich an die Schule, daran dass dort gerade Mittagspause war, an den Vorteil von Jausengeld und an meinen leeren Magen.
Tamara holte eine Dose Bier aus den Untiefen ihrer Hosentasche. Wir tranken. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an die Steinwand, alles um mich herum verwandelte sich in ein Rauschen, in dem ich meinen Hunger vergaß. In regelmäßigen Abständen zogen die Junkies an uns vorei, mit ihren monotonen "Substi, Substi"-Rufen, die zuerst kürzer und dann wieder länger wurden, je nachdem ob sie sich näherten oder entfernten.
"Dopplereffekt", kicherte Tamara, und ich wusste nicht, ob sie nun den physikalischen oder den alkoholischen meinte.
Irgenwann in ihrem Leben hatte Tamara die eine oder andere Bildungseinrichtung besucht und mit großer Wahrscheinlichkeit sogar studiert. Aber konkreten Fragen über ihr Leben wich sie aus. Manchmal sagte sie etwas über Quanten und Strings und Quarks und Spins, dabei verdunkelte sich ihr sonst so helle Iris, sie kniff die Augen zusammen, ihre feinen Fältchen wurden sichtbar, und sie raufte sich die ohnehin in alle Richtung abstehenden Haare. Leider hatte sie zwischen ihr Wissen Lücken gesoffen, sodas die Zusammenhänge für sie nur noch schwer herstellbar waren.
"Gib mir die Schnapsflasche", sagte sie immer, wenn ich etwas von ihr wissen wollte, "dann geht es leichter."
Aber leicht ging nur noch eines: was man in welcher Form rauchen, spritzen oder schnupfen konnte und was besser nicht.
