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Die Stadt ohne Juden - pp 51
Mein Lieber, nun ist genau ein Jahr vergangen, seitdem ich Dir auf dem Westbahnhofe mit meinem von Tränen ganz durchnäßten Taschentuch nachgewinkt habe. Und das erste Weihnachtsfest, das ich als Deine Braut ohne Dich verbringen mußte, liegt hinter mir. Es war wieder recht traurig, und Papa meinte sehr besorgt, daß ich noch ganz krank und elend werden würde, wenn ich mich meinem Schmerz so hingebe. Ich bin jetzt nämlich immer sehr blaß, schlafe schlecht, habe viel Kopfschmerz und werde gleich so müde. Unser Hausarzt meint, es sei Bleichsucht und hat mir Guberquelle verordnet, aber ich weiß, daß es nur meine Sehnsucht nach Dir ist, die mich schwach und krank macht.
Near fragment in time
Regina Rosenow, das einzige Kind des billionenreichen Generaldirektors der Mitteleuropäischen Kreditbank, hatte ihre Jourgäste um sich versammelt. Nicht etwa in dem elterlichen Palais in der Pötzleinsdorfer Allee, sondern bei Hopfner in der Kärntnerstraße. Dort hatte sie für jeden Mittwoch von fünf Uhr nachmittags an einen kleinen Saal gemietet, der mit den anstoßenden Séparées ihr und ihren Gästen zur Verfügung stand. Nicht alle ihre bekannten Herren hatten Zeit genug, nach der entlegenen Pötzleinsdorfer Allee zu kommen, außerdem fühlte sich die junge Dame hier ungenierter, sie musste nicht die Hausfrau spielen, konnte es den Kellnern überlassen, nach dem Rechten zu sehen, und schließlich durfte man, wenn die Zeit vorgerückt war, sich auch mehr gehen lassen als zu Hause. Und dann die Séparées! Regina hatte volles Verständnis für alle Möglichkeiten, und dieses paarweise Verschwinden in den hübschen kleinen Zimmern, in denen neben dem Sektkübel das Sofa die hervorragendste Rolle spielte, erhöhte die gute Stimmung, verlieh den Jours der Regina Rosenow eine besonders pikante Note.
pp 42-43 from Die freudlose Gasse by