Der andere Garten. Erinnern und Erfinden in Gärten von Institutionen
Canevale, eine Art Stararchitekt, gilt als der Planer des sogenannten Josephinums, der chirurgischen Akademie und des Mitlitärspitales, welches unmittelbar an den Narrenturm angrenzt und auf dem entsprechenden Planmaterial zusammen mit dem Narrenturm abgebildet wird, obwohl die Irrenanstalt bereits gut ein Jahr früher fertig gebaut war.
<Das alte Narrenhaus von Wien, der Narrenturm, wurde am 19. April 1784 seiner Bestimmung übergeben. Den Baus des kreisrunden, fünfstöckigen Gebäudes finanzierte Kaiser Joseph II. aus seiner eigenen Tasche. Es ist aus zeitgenössischen Quellen überliefert, dass Joseph das Tollhaus zumindest im ersten Jahr des Irrenbetriebes mehrmals in der Woche besucht hat.>
Der Narrenturm kann höchstens für den Kaiser panoptisch gewesen sein und auch dann nur, wenn dieser sich hinauf in das besagte Türmchen begab, um von dort das sich ausbreitende, von Staubwolken verhangene Weichbild der Stadt Wien zu betrachten.
Ich gehe deshalb so genau auf diesen Umstand ein, weil dadurch der Narrenturm von der ihm aufgebürdeten, ideologisch bedingten Altlast- von den Schriften Focoults beeinflussten Annahmen- befreit wird, dass es sich bei dem Gebäude um ein Werk fortschrittlichsten Revolutionsklassizismus handle, welche zudem auch noch eine frühe Vorwegnahme des Benthamschen Panoptismus verkörperte.
Schlager hielt 1884 einen Festvortrag im mittlerweile zum Schwesternwohnheim und zu Werkstätten der Haushandwerker des Spitals umfunktionierten Narrenturm.
Hier ist festzuhalten, dass es damals keine Therapie für Geisteskrankheiten gab. Sämtliche Behandlungsmethoden, wie Eiswasserkuren, Tabaksklistiere, Zwangswesten und Drehschleudern, das ganze therapeutische Folter- Arsenal wurde erst nach dem Tod Josephs eingeführt. Ganz generell vertrat man die Ansicht, dass Irre sich nicht beherrschen konnten und ihren Gefühlsausbrüchen leichtfertig nachgaben.
Um ausreichend Bewegung zu fördern, vergatterte man die Militärirren, also wahnsinnig gewordenes Militärpersonal, im Anstaltshofe und befahl ihnen scharfe Rundläufe am Gange. Das Narrenhaus diente auch der Aufspürung vermuteter Simulanten, die sich vom Kriegsdienst zu drücken versuchten - als eine Art Sonderdisziplinierung.
Was nun den fehlenden Garten anbelangt, so legt der Kaiser unmissverständlich im Handbillett fest, das die angeschmiedeten Tobenden und Unruhigen, die Unreinen sowieso nicht ins Freie gelangen dürfen. Alle anderen, die Ruhigen oder Lenksamen, die Braven dürfen zu unterschiedlichen Zeiten in den Hof hinaus, ein Garten erübrigt sich somit. Es hätte auch gar keinen Platz hierfür gegeben, errichtete man den Narrenturm doch auf einem steil abgeböschtem, künstlichen Erdhügel.
Der Kreisgrundriss des Narrenturms ist in jeweils 28 gleich große Segmente geteilt, ein eindeutiger Verstoß gegen den von Archimedes und Euklid aufgestellten geometrischen Kanon.
Am äußeren Rande des Kreises bilden die Irren sozusagen eine Zone des Wahnwitzes, vorgeschoben als Puffer zu einer heiligen Spähre. Unter diesem Blickpunkte, der Ansicht, die Gott zugewendet ist, verliert der Narrenturm sein Äußeres und daher kann es keinen Garten geben, denn direkt an die Fassade schmiegte sich wie eine unsichtbare Folie das Paradies.
Ich habe ein Modell entwickelt, das recht gut illustriert, wie die Anwesenheit des Kaisers im Narrenturm sich als therapeutisch wirksame Kraft entfalten könnte.
Es ist übrigens recht merkwürdig, dass man sich, im Zentrum des Narrenturm aufhält, gleichsam ins Auge des Taifuns wagt, obwohl umgeben von rasendem Irrsinn man sich immer noch in der gesunden Außenwelt befindet.
Dafür entstand gleich neben dem Narrenturm ein kleines Bethaus für die Kranken des jüdischen Glaubens des allgemeinen Krankenhauses.
Die Synagoge steht noch heute und weist einen achteckigen Grundriss auf. Der allerheiligste Kern einer jeden Synagoge ist oktogonal gestaltet. Während der Nazi- Zeit wurde sie geschlossen und versieht bis heute nicht mehr ihren eigentlichen Zweck. Man installierte darin eine Trafo- Station, die bis heute den Narrenturm mit elektrischer Energie versorgt.
<Der Narrenturm hätte ein Think Tower für Gastprofessoren werden sollen, ein Synopticon mit versenkbaren Computerterminals und Hochleistungs- Internet -Anschlüssen - im Erdgeschoss wollte man einen Kindergarten ins Leben rufen. >
<Sonntags versammelte sich immer viel Volk beim Narrenturm, um Narren zu schauen. Besonders wagemutige Neugierige erklommen die Fassade bis hinauf in den dritten Stock und hänselten die Patienten. Es kam sogar vor, dass man ihnen scharfe oder schneidende Gegenstände aushändigte, nur um zu sehen, was passieren würde.>
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