Dunkelstein
"Jetztn ists aber genug. Ihn hätte ich sehen wollen am Morzinplatz bei der Gestapo, wenn der Kalterer oder der Brauner begonnen hätte, sich mit dir zu unterhalten. Wie ein Wickelkind hättest geschrien..."
Alter Häftling: "Ihr wart im Café Josephstal? Ihr habt dort tarockiert. Ich bin auch draußen vorbeigegangen." (...) Willy Klang: "Tarockieren? Unsereiner hat Bridge gespielt. Ich hab gewohnt in der Pfeilgasse, gleich gegenüber vom Josephstal."
Willy Klang: "Aha, Order ist unterwegs. Tja, gegessen hat er gern, der Saul. Sehr gern. Außerordentlich gern. (Zum alten Häftling:) Erinnerst du dich an das Neugröschl in der Heinestraße?" Alter Häftling: "Stadtgutgasse." Willy Klang: "Kleine Stadtgutgasse." Alter Häftling: "Und wie. Wenn wir beim miesen Rappaport gesessen sind und aufs Essen gewartet haben, und es ist nicht gekommen, hat der Torberg geschrien: Was is? Was is? Der Fraß ist noch nicht da? Beim Neugröschl rülpsen sie bereits."
Wohnung in der Unteren Augartenstraße. Isidor Winter sitzt im Wohnzimmer beim Tisch und liest Zeitung. Seine Frau Adele bringt zwei Teller mit dürftigem Mahl herein. Isidor legt die Zeitung weg, beginnt langsam zu essen. Die Stimmung ist düster
Projektion. Heldenplatz. Führer auf dem Balkon (Foto). Stimme aus einem Lautsprecher: der glanze heldenplatz zirka versaggerte in maschenhaftem männchenmeere drunter auch frauen die ans maskelknie zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick. und brüllzten wesentlich.
1938. Vor der Synagoge Seitenstettengasse. Amtsdirektor Leonhardt, Dunkelstein, junger Bursch. Leonhardt: "Kommen Sie, Saul. Kommen Sie mit Sack und Pack. Ich mache Ihnen das Zimmer acht frei. Dort können Sie schalten und walten." Dunkelstein: "Herr Amtsdirektor. Ich bleib kein Rabbiner und Sie kein Amtsdirektor. Die schlimmen Tage sind da."
Theres: (zu Klang) Wo können wir denn hin? Der junge Willy Klang: Haidgasse 4. Wird a bissl eng werden, Theres. Der alte Schwarz: (lächelnd) Die Thesi geht eh weg. Nach Palästina, stellts euch vor. Wird sitzen am Pferd, statt Bridge spielen. Freut mich für dich. (Pause.) Wann reist du ab? Theres: Das weiß ich doch noch nicht, Papa.
Der alte Schwarz: (verträumt) "Wie gehts deinem Vater, dem guten alten Ossi? Ist er gut aufgehoben?" Der junge Willy Klang: "Sie haben keinen Begriff davon, wie überfüllt das Rothschildspital heutzutag ist. Es gibt nur noch verletzte Juden, kommt mir vor. Er hats gut, Philipp, er ist als Arzt ein bissl besser dran."
Willy Klang: "Ich bin wie ein Pfitschipfeil die nächsten Tage zwischen Kultusgemeinde und Morzinplatz und Westbahnhof hin und her. Order da, Order dort. Kaum hat die Gestapo einen beim Kragen und wir erfahrens, brüllt mich der Dunkelstein an, redet mit der Zentralstelle, um den loszueisen, brüllt mich wieder an, was ich da noch rumsteh, statt den Singer mit dem Papier von dort nach dort zu bringen.
Czerninplatz. Früher Morgen. Kleine Grünanlage mit Plantagen. Hinter dem Stamm eine kleine Öffnung, ein toter Briefkasten. Edith Gold kommt herbeigestöckelt, ein bisschen auf leichtes Mädchen. Sie hat sich bei ihrem Begleiter untergehakt.
Kalterer: (als sie bei der Tür sind) "Bleib stehn. Hör zu. Dein Mütterlein, die Adelheid Gold, die lebt doch noch immer in der Schiffamtsgasse. Was macht die Alte noch da? Werden wir wegschaffen müssen.
Edith: "Nein."
Kalterer: "Na, dann komm wieder her. Schauen wir, was sich für ein altes Judenweib machen lässt."
Sammellager Castellezgasse. Der junge Willy Klang beim Eingang mit Zettel.
Der junge Willy Klang: "Eine Adelheid Gold."
Portier: "Ist da."
Der junge Willy Klang: "Wird herausreklamiert." (Reicht das Papier weiter.)
Willy Klang: "Plötzlich war der Teufel los. Sie waren herinnen in der Malzgasse. Kalterer ging schnurstracks ins Thyphuszimmer und riss den kleinen Peter aus dem Bett. Esther war außer sich. Sie schrie: Die Gold, dieses Schwein. Die Gold. Ich dachte schon, sie nehmen sie auch mit, aber Kalterer ging sofort mit dem Säugling im Arm."
Raffi: "Und dann haben sie mit dem die Gisela Winter zum Reden gebracht?"
Willy Klang: "Hätten sie wohl. Aber die Winter ist an den Folgen der Verhöre gestorben. Also haben sie die Gold erschossen, das Kind in die Mohaplgasse bringen lassen, und es ist im März 1945 mit anderen Säuglingen nach Theresienstadt geschickt worden."
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