Der dritte Mann
Es war im Februar, und die Totengräber mussten Presslufthämmer verwenden, um den hartgefrorenen Boden im Wiener Zentralfriedhof aufzubrechen. Selbst die Natur schien sich beharrlich zu weigern, Lime in ihren Schoss aufzunehmen, aber schließlich brachten wir ihn doch in die Grube und legten die Erdklumpen wie Ziegelsteine auf seinen Sarg.
Im Hotel Astoria, wo ihn der Bus absetzte, erwartete ihn kein Lime und keine Nachricht - nur eine rätselhafte Mitteilung für Mr. Dexter von einem Mann namens Crabbin, von dem er noch nie gehört hatte.
Martins saß auf einem harten Stuhl gleich beim Bühneneingang des Josefstädter Theaters. Er hatte Anna Schmidt nach der Nachmittagsvorstellung seine Karte in die Garderobe geschickt, mit dem Zusatz "Ein Freund von Harry".
Er hatte Crabbin ein paar ungemütliche Stunden bereitet, das stand fest. Als er nach seiner Unterhaltung mit Herrn Koch ins Sacher zurückkehrte, wartete dort ein verzweifelter Brief von Crabbin auf ihn: "Ich versuche schon den ganzen Tag, Sie ausfindig zu machen", schrieb er.
Es war nahezu dunkel, als Martins am Ufer des Donaukanals dahin schritt: gegenüber am Wasser lag das halb zerstörte Dianabad, und in der Ferne stand der gewaltige schwarze Reifen des Riesenrads unbewegt über den Häuserruinen. Dort drüben, jenseits des grauen Kanals, erstreckte sich der zweite Bezirk unter russischer Verwaltung. Über den Dächern der Innenstadt reckte der Stephansdom seinen mächtigen kriegswunden Turm in den Himmel. Und als er die Kärntner Straße entlang ging, kam Martins an der hell erleuchteten Tür der Militärpolizei vorüber. Die vier Männer der allierten Patrouille stiegen gerade in ihren Jeep; der russische Polizist saß neben dem Fahrer (weil die Russen an diesem Tag für die nächsten vier Wochen den Vorsitz in der Verwaltung der Innenstadt übernommen hatten); und der Engländer, der Franzose und der Amerikaner hievten sich nach hinten. Der dritte starke Whisky verdampfte in Martins' Hirn, und ihm fielen das Mädchen in Amsterdam ein und das Mädchen in Paris. Einsamkeit begleitete ihn durch die belebte Straße. Er erreichte die Ecke, wo man zum Sacher einbiegt, und ging weiter. Rollo hatte Oberhand und drängte zu der einzigen Frau, die er in Wien kannte.
Er erblickte auf der Hofburg die Titanen, die auf ihren Häuptern riesige Schneekugeln balancierten, und dann tauchte das Auto in ein Gewirr schwach beleuchteter Straßen ein, wo er bald jede Orientierung verlor.
Martins zog weiter: Im Maxim tanzten etliche Paare in trübsinniger Stimmung, und in einem Lokal, das sich Chez Victor nannte, hatte die Heizung versagt, und die Gäste saßen bei ihren Cocktails im Wintermantel.
Den ganzen Vormittag waren vollbesetzte Straßenbahnen nach Grinzing hinausgefahren, wo man den Heurigen trinkt, oder weiter hinaus ins schneebedeckte Hügelland. Als Martins auf der behelfsmäßigen Pionierbrücke den Donaukanal überquerte, fiel ihm auf, wie still und leer der Nachmittag war.
Eine Stunde lang wartete er, auf- und abwandernd wegen der Kälte, innerhalb der Einfriedung des Riesenrads. Der zerstörte Prater, dessen nacktes Gebein aus der Schneedecke ragte, war nahezu menschenleer.
Der Horizont wich zurück, die Donau wurde sichtbar, und die Pfeilertürme der Reichsbrücke kamen über den Häusern zum Vorschein.
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