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Kaffeehaus war überall. Briefwechsel mit Käuzen und Originalen

3-7844-1948-8
May 1982
May 1982
QuoteEs wäre falsch, die Welt des "Herrenhof" nur aus der Perspektive amüsierter Habitués zu sehen, die an dem zwanglosen Treiben des "leichtsinnigen Künstlervölkchens", der skurrilen Einzelgänger und Sprüche produzierender Originale ihren Spaß hatten. Es war, wollte man es soziologisch definieren, ein Milieu der fließenden Übergänge, existentieller Mischformen, das auch debattierfreudige Persönlichkeiten des literarischen Establishments mit einbezogen. (Milan Dubrovic. Aus Milan Dubrovics Beitrag zur Festschrift für Friedrich Torberg "Der Weg war schon das Ziel", Langen Müller 1978)

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QuoteSolche, außerhalb des "Herrenhofs" verbrachte Abende waren eher selten. Da mußten schon besondere Gründe vorliegen. Es grenzte an Verrat, Einladungen "in die Häuser" Folge zu leisten. Unser tägliches Refugium war eben das "Herrenhof". Absenzen wurden als uneinbringlicher Verlust empfunden...(Milan Dubrovic)

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QuoteDaß "Trägheit" auf römisch "ineria" heißt, war mir entfallen. ich kannte es nur noch amerikanisch, wo es "inö`sch`ö" ausgesprochen wird und solchermaßen beinahe wie das Gegenteil klingt, allerdings im Café Thurygrund" ausgesprochen. Ich pflegte dieses Lokal eine Zeitlang mit Ernst Stern zwischen 2 und 4 Uhr früh aufzusuchen, und wir hatten dort einen Stamm-Plauderer, der seine Ansprache an die Abortfrau mit vielfachem Fremdwort zu unterspicken liebte und als Schöpfer der bis heute noch nicht überbotenen Einleitung: "Aus dem ad hoc heraus gesprochen" anzusehen ist...

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QuoteMein Lieber, was soll aus uns werden?! Das Café Herrenhof ist nicht mehr, uns zwar im plansten, vordergründigsten Sinn des Wortes nicht. Es wurde bereits im Jahre 1939 in eine Möbelfirma (!!) umgewandelt, und das haben mit im Jahre 1940 die Eltern des (inzwischen leider Gottes aus Frankreich nach Polen deportierten) Thorn noch aus Wien nach Hollywood geschrieben, (...).

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QuoteFür meine Person (Friedrich Torberg in einem Brief an Justinian Frisch) habe ich die Hochblüte des alten Café Central leider nicht miterlebt (ich bin, was ich nicht nicht nur aus diesem Grund bedaure, erst 1908 auf die Welt gekommen), - mir war es nur noch ein düsteres Symbol einstigen Glanzes, eine Art Kapuzinergruft mehr dunkel, manchmal schlich ich mich ins Schachzimmer ein, manchmal fungierte ich als konzessionierter Kiebitz Heini Frankels bei der nachmittäglichen Rostopschin-Partie, die Mitglieder der großen Sezession - Perutz, Soyka, Polgar (den ich auch hier gelegentlich sehe) - kenne ich nur noch aus dem "Herrenhof", und vollends das Café Griensteidl nur noch aus der "Fackel".

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QuoteWas nun Ihren kühnen Vergleich - "Insasse des Café Herrenhof = Inhaber des Maria Theresien-Ordens" - betrifft, so werden Sie diese mehr als gewagte Parallele zurückziehen müssen, sobald Sie die hier folgende Parade an sich vorbeiziehen lassen haben. "Respektabel"! "Ehrenwert"! Sonderbare Titel für ein Publikum, das (von der rassischen Zusammengehörigkeit abgesehen) so uneinheitlich, so buntscheckig, ja so voller Gegensätze war wie das des Herrenhof. Ganz zu schweigen davon, daß dieses Kaffeehaus ein ausgedehnter Komplex war, dessen einzelne Gebiete - das Frontlokal an der Herrengasse, der mit buntem Glas bedeckte, wiederum unterteilte Mittelsaal, das schon als Spielzimmer benutzte Verbindungsstück gegen die Räumlichkeiten an der Wallnerstraße, zu denen einige Stufen hinabführten und die zuletzt nur noch "Bridgestube" waren - untereinander kaum nennenswerte Beziehungen unterhielten.

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Quote(Justinian Frisch an Friedrich Torberg) Das Element der Dauer. Dieses tertium comparationis, von mir um des lieben Friedens willen anerkannt, ist unzulässig. Vielmehr ist es für den Besucher des Café Herrenhof typisch, daß er es liebt, größere Pausen einzuschalten, in denen er es mit einem anderen Kaffeehaus versucht, sozusagen Urlaub zu nehmen oder am Ende ganz und gar auszubleiben (dies besonders dann, wenn seine Zech- und Spielschulden allzusehr angewachsen sind). Er ist seinem Stammlokal nicht treu, er ist meistens chronischer Gast, wird machmal rückfällig und geht wieder ins Central, und unmerklich verändert sich ein Publikum, in dem es nur einige wenige ruhende Pole gibt.

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Quote(Justinian Frisch in einem Brief an Friedrich Torberg) Ich selbst hatte in meinem langen Leben mindestens fünf Stammkaffeehäuser: Als Gymnasiast und Student frequentierte ich das altehrwürdige Café Rebhuhn in der Goldschmiedgasse. Während des ersten Weltkrieges hauste ich im Domcafé. Eine Zeitlang fand ich mich fast täglich im Café Korb, Tuchlauben, ein. (Die Kriegserklärung erlebte ich im Café Rebhuhn, das Ende des Krieges im Café Korb.) Nachher kam das Central und schließlich das Herrenhof. Sie sehen, ich bin das Paradigma des wandernden ruhelosen Stammgastes, denn ich war, wie jeder andere, beeinflußt von äußeren, familiären, geschäftlichen Umständen, ich war bestenfalls ein zweijähriger perennierender Wurzelstock.

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QuoteOb der zahlungsunfähige Stammgast den mit Hundertschillingscheinen wedelnden Maharadjan anpumpt, oder ob er beim Weggehen dem ahnungsvoll wartenden Ober mit nonchalanter Gebärde zuruft:"Ich zahl Ihnen morgen" - das sind ja nur zwei Varianten, zwischen denen der jedenfalls nicht aus eigener Tasche zahlende Insasse (ich gebrauche den Ausdruck aus freundschaftlicher Konnivenz) nach der jeweiligen Sachlage zu wählen hat. Er tut es ja nicht gern; lieber würde er die Hunderter flattern lassen. Er will also gar nicht versorgt sein, vielmehr ist er fallweise gezwungen, sich versorgen zu lassen. Nicht so der Schnorrer des Café Central, der auf Grund eines Gewohnheitsrechtes einen Tribut einhebt.

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QuoteSperber spielt im Café Central Dardel [ein im Café Central beliebtes Kartenspiel], und zwar im letzten Zimmer der getäfelten Kartenspielerflucht. Schwere eichene Möbel verengen die Passage. Da kommt der Hutterer mit einigen "Tatzen" (Tabletts aus Blech), auf denen nebst den obligaten Wassergläsern auch ein sogenannter türkischer Kaffee steht. Und eben als Hutterer an Sperber vorbeikommt, holt dieser zu einer gewaltigen Arm- und Handbewegung aus - er ist im Begriffe, das entscheidende Atout auf den grünen Tisch zu krachen -, und schlägt dem armen Hutterer die Tatzen mit dem türkischen Kaffee aus der Hand. Es gibt ein gewaltiges Geklirr und Geschepper, alles dreht sich um, nur Sperber bleibt seelenruhig sitzen und zitiert bloß die alte Ballade: Zur Rechten sah man wie zur Linken/ Einen halben Türken heruntersinken ...

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Quote(Friedrich Torberg an Alexander Inngraf) Sie liegen in der Gegend jener "Versuche einer Zweckentfremdung", gegen die das Café Herrenhof vom braven Albert verteidigt wird. Es sind, fürchte ich, weit über das Café Herrenhof hinausgehende Versuche; ja ich möchte das Café Herrenhof hier schlechtweg dem Abendland gleichsetzen. Aber wenn Ihnen das zu viel ist, dann sagen Sie statt dessen nur "Wien". Und lassen Sie mich also wissen, wie weit alles das, was wir unter "Wien" und "Österreich" vorzustellen liebten, seinem Zweck entfremdet wurde und noch wird.

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QuoteUnd hier ergibt sich in der Tat eine Parallele zu dem oben beregten Karl Kraus, der, wie Sie sich vielleicht erinnern, immer mit Nachdruck behauptete, daß er eigentlich gar keine Zeitungen liest, sondern daß ihm das Material "von selbst" zufliegt. Ganz so war das natürlich nicht, sondern er saß, wann immer man ins Café Parsifal (oder bei Nacht ins sogenannte "Falsche Schellinghof") kam, hinter einem Berg von Zeitungen. Aber aus der persönlichen Erfahrung jener drei Jahre, in denen ich auf die Frage:"Was sind Sie?" rechtens hätte antworten müssen:"Vorzugsschüler beim Kraus", weiß ich, daß er eine Zeitung nur aufmachen mußte - und schon hatte er genau das gefunden, was er gerade brauchte.

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