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Herrn Kukas Empfehlungen

978-3492041461
March 1999
January 1999
QuoteAls der Bus in den Ring einfuhr, sah ich endlich die ersten Wiener. Sie machten einen entspannten und harmlosen Eindruck. Man konnte sie nur nicht richtig auseinanderhalten.

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QuoteGlücklicherweise kamen wir an der Staatsoper vorbei, dem einzigen Gebäude, das ich schon vorher von Fotos kannte, und ich versuchte sie ein bißchen aufzuheitern. „Wußten Sie eigentlich, daß die Kronleuchter in der Oper nicht aus Glas sein dürfen?“ fragte ich. „Wenn nämlich so ein Starsopran das hohe C singt, zerspringen sie, und die Splitter fallen ins Publikum. Es gibt deshalb jedes Jahr weltweit über dreißig Schwerverletzte. Letztes Jahr wurde das Kleid der japanischen Botschaftergattin von so einem herabfallenden Kristallzapfen aufgeschlitzt, und sie stand nur noch in der Unterwäsche da, auf der kämpfende Samurais abgebildet waren.“

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QuoteSie zeigte auf ein großes Gebäude, an dem wir gerade vorbeifuhren. Eine Statue mit einer Waage in der Hand stand davor. „...das ist das Parlament. Hier beschließen sie übrigens alle möglichen Gesetze gegen Tschuschen, Polacken und gegen sich selbst.“

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QuoteWir verstummten und sahen hinaus. Unser Ikarus hielt an einer Ampel vor der Universität. Gleich neben uns wartete ein belgischer Reisebus. Wir standen Fenster an Fenster, nur eine Armlänge voneinander entfernt. Der andere Bus hatte getönte Scheiben, eine Klimaanlage und eine fahrende Toilette. Hinter den Fenstern sah man ausgeruhte Belgier mit Videokameras, die neugierig ihrem Reiseleiter lauschten.

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QuoteJeder weiß, daß wir ein katholisches Volk sind. Aber ich hätte nie gedacht, daß deswegen gleich unsere Endhaltestelle an der polnischen Kirche sein würde. Andererseits sah die polnische Kirche nicht gerade so aus, wie man es von Kirchen erwartet. Sie war von Verkaufsständen umstellt, auf denen sich Zigaretten, Büchsenöffner und eine Menge anderer dinge stapelten, die man offenbar hier in Wien zum Leben brauchte.

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QuoteDas Belvedere war nicht nur ein Park, sondern eine richtige Touristenattraktion mit Alleen und einem großen Schloss. Es gab dort soviel zu besichtigen, dass die Touristen mit dem Schauen gar nicht nachkamen. Ich wartete bis es acht Uhr wurde. Dann wurden die letzten Besucher von einem senilen Wärter hinausgebeten und das Tor geschlossen. Der Wärter verschwand in seinem Wärterhäuschen und ließ sich nicht mehr blicken. Ich machte mich auf die Suche nach Herrn Kukas Hotel Vierjahreszeiten und fand es erst nach intensiver Suche im hintersten Winkel des Parks. Das war ein gutes Zeichen. Für jemanden, der davon nichts wusste, war es praktisch unauffindbar. Die Parkbank war von allen Seiten durch Hecken und Efeukugeln abgeschirmt. Es sah fast so aus, als hätte Herr Kuka alles absichtlich so gepflanzt. Die Wege waren mit Kies gestreut, so dass man einen Eindringling schon auf zwanzig Meter Entfernung hören konnte.

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QuoteDie Parkbank im Belvedere war solide wie ein Metallbett. Das einzige, was mich etwas störte, war die Aufschrift auf ihrer Lehne. Immer wenn ich mich nach rechts drehte, starrte ich genau auf die „Bin Eigentum der Stadt Wien“-Aufschrift. Ich konnte nur hoffen, dass sich das nicht allzu nachhaltig auf meine Psyche auswirkte. Aber wenn ich mich nach links drehte, sah ich dafür das Schloss Belvedere. Es wurde von allen Seiten von Scheinwerfern beleuchtet und sah aus wie aus einem Märchen. Zum ersten Mal dachte ich etwas freundlicher an Herrn Kuka. Denn so wie es aussah, schlief ich zwar im Freien, hatte aber die schönste Aussicht in der Stadt erwischt.

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QuoteBald kannte ich die Innenstadt wie meine Westentasche und war sogar in der Lage, anderen Touristen Auskünfte zu erteilen. Nachdem ich mich an allem satt gesehen hatte, übte ich mich darin, echte Wiener von den Touristen zu unterscheiden. Es ist nämlich gar nicht so leicht, einen Wiener auf den ersten Blick zu erkennen.

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QuoteAls ich im Prater war, fuhr ich eine Runde mit dem Riesenrad, um endlich Wien auch mal von oben zu sehen. Dabei stieg ich versehentlich in eine Gondel ein, die voll mit einer italienischen Familie war. Sie hielten mich aus einem unerfindlichen Grund für einen Russen. Sie waren auch felsenfest überzeugt, daß alle Russen verrückt nach Schokoriegeln sind. Sie mußten wohl zu Hause eine Schokoriegelfabrik haben, denn es wurde mir jede zweite Minute ein Schokoriegel zugeschoben. Zum Schluß, nachdem mir jedes Mitglied der Familie seinen Schokoriegel aufgezwungen hatte, kam noch ganz diskret die italienische Großmutter zu mir und drückte mir mit leuchtenden Augen einen steinharten Schokoriegel von der Größe einer Hantel in die Hand. Wegen dieser ganzen Schokoriegelgeschichte kam niemand von uns dazu, sich Wien anzusehen. Als wir wieder unten waren, mußten sich die Italiener noch eine Fahrt kaufen und wollten mich gleich mit einladen.

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QuoteAm nächsten Tag beim Schönbrunn-Besuch mischte ich mich sicherheitshalber gleich unter eine Gruppe deutscher Touristen. Wir folgten einem Reiseleiter, der so gut aussah, daß die Frauen überhaupt nichts von Schönbrunn mitbekamen. (...) Oben auf der Gloriette nahmen die Männer Rache. (...)

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QuoteIch löste mich diskret aus der Gruppe und trabte die Gloriette hinunter. Unterwegs sah ich mir die Tulpen an, die so gepflanzt waren, daß sie einen Violinschlüssel und Noten bildeten. Das ergab eine kleine Melodie. Ich summte sie mir noch in der U-Bahn vor. Und das, obwohl ich schwarz fuhr und die ganze Zeit nach einer Kontrolle Ausschau hielt.

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QuoteIch kaufte mir bei der Oper in einer Trafik eine Ansichtskarte für meine Eltern und bog in die Kärtnerstraße ein. Da die Kärntnerstraße voll von Boutiquen ist, blieb ich hin und wieder an einer Auslage stehen. Als ich mir gerade Frauenunterwäsche ansah, tippte mir plötzlich jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und sah vor mir einen etwa zwanzigjährigen Mozart stehen mit einem Katalog im Arm. (...)Ich war so knapp davor, mir einen Sitzplatz für die >>Aida<< zu kaufen, und machte dass ich weg kam. Erst als ich ein paar Geschäfte weiter war, drehte ich mich wieder um. Mein Mozart hatte sich erstaunlich schnell von seiner Enttäuschung wieder erholt. Er war aufgestanden und suchte energisch nach einem neuen Opernliebhaber. Vor dem Stephansdom gab es eine Menge Touristen, die sehr an dem Bauwerk interessiert waren. Ich war der einzige, der sich nicht soviel daraus macht

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QuoteVor dem Stephansdom gab es eine Menge Touristen, die sehr an dem Bauwerk interessiert waren. Ich war der einzige, der sich nicht soviel daraus machte. Als ich hineinging, war ich zwar von der ganzen heiligen Inneneinrichtung beeindruckt, aber im Grunde fühlte ich mich wie ein Arbeiter, der an seine Drehbank zurückkehrt. Als ehemaliger Ministrant erwachte in mir auch diese Abneigung gegenüber ehemaligen Arbeitsplätzen. Unterwegs zum Altar, wo es mich instinktiv hinzog, betrachtete ich lediglich ein bißchen die Tafeln an den Mauern, die man zu Ehren berühmter Männer angebracht hatte. Diese Tafeln waren nichts Neues, aber es ist immer wieder erstaunlich, wie viele berühmte Leute auf der Welt schon gestorben sind, ohne daß man je einmal ein Wort von ihnen gehört hat.

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QuoteIm Aida war alles in Rosa. Die wände, die Tische, sogar die Kellnerinnen waren ständig unterwegs. Sie trugen riesige Tabletts mit Getränken und lächelten dabei, als wären es irgendwelche Jagdtrophäen, die sie gerade erbeutet hatten. Die Kellner bei uns könnten sich hier wirklich was abschauen.

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QuoteMeine erste Begegnung mit der westlichen Arbeitswelt fand in einer Fleischerei statt. (...) Ich war vielleicht nicht dynamisch, aber ich war bestimmt jung, und mit meinen vierhundert Schilling in der Tasche konnte man mich ruhig als flexibel bezeichnen. Der Wurstbetrieb lag im vierzehnten Bezirk. Als ich dort ankam, stellte sich heraus, daß das Wurstgeschäft auch nicht so dynamisch war, wie es tat.

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QuoteAm Ende der Woche las ich eine Anzeige, wo man in einem Frisiersalon eine Aushilfsstelle anbot. Der Frisiersalon lag in der Innenstadt hinter dem Stephansdom. Ich ging dort gleich nach dem Frühstück hin, so daß der Salon noch menschenleer war, als ich dort eintrat.

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QuoteDa der Arbeiterstrich außerhalb der Stadt in einer Ortschaft namens Gerasdorf lag, musste ich zum ersten Mal mit der Schnellbahn fahren. Im Vergleich dazu war die U-Bahn eine Boutique. Der einzige Vorteil der Schnellbahn war, dass in jedem zweiten Waggon eine Art Kantine mitfuhr, in der der Schaffner saß und jede zweite Station die Fahrscheine überprüfte. Wenn man sich darauf einstellte, sparte man reichlich Nerven und musste nicht dauernd so auf der Hut sein wie in der U-Bahn.

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QuoteUm den Arbeiterstrich zu erreichen, mußte ich stadtauswärts gehen. Ich lief eine Viertelstunde auf einem schmalen Seitenstreifen, bis die Straße eine Kurve machte und vor mir ein großer Parkplatz auftauchte. Es gab dort kein Auto, dafür aber einen Haufen Mülltonnen auf Rädern, die man schon von weitem riechen konnte.

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QuoteDer Polizist zeigte schließlich auf Arnold: „Du in der roten Mütze! Herkommen zu mir!“ Arnold trat vor. „Was suchen sie hier?!“ „Wir graben ein Schwimmbad aus, Herr Inspektor.“ „Hier dürfen sie nicht einmal ein Papier fallen lassen. Das ist der Naturpark Lainz! Was verstecken Sie hier?“

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QuoteAls wir in Wien ankamen und mit der U-Bahn Richtung Zentrum fuhren, passierte etwas, dass dem heutigen Tag die Krone aufsetzte. Eine Station vor dem Karlsplatz stiegen zwei Skins in unseren Waggon ein.

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QuotePlötzlich durchflutete Licht den Waggon. Die Station kam, und die U-Bahn blieb stehen. Bolek beugte sich über den liegenden Skinhead und brüllte ihm auf Polnisch ins Ohr: „Kein Omelett ohne Eier zu zerschlagen, du Trottel.“ Dann stiegen wir aus. (...)Wir nahmen die Rolltreppe und kamen auf der Seite des Resselparks hinaus. Es war ein warmer ruhiger Sommerabend. Als wir an der Karlkirche vorbeigingen, waren meine Beine auf einmal schwer wie Blei.

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QuoteWir fuhren morgens mit der U-Bahn zum Mexikoplatz und betraten einen Spielzeugladen, der seinem Bekannten namens Josef Bernstein gehörte. Obwohl Bolek versprach, es sei nur eine Formalität, hätte ich das Vorstellungsgespräch niemals ohne ihn überstanden.

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QuoteBoleks Wohnung lag im zweiten Bezirk neben dem Prater. Sie war im obersten Stockwerk eines alten Mietshauses und bedeutete einen beträchtlichen Zivilisationssprung für mich. Wenn ich mich aus dem Fenster lehnte, sah ich das Riesenrad, wo man mich eine ganze Umdrehung lang für einen Russen gehalten und mir gezählte siebzehn Schokoriegel zugesteckt hatte.

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QuoteIch ging hinüber und stellte mich vor das Fensterbrett. Draußen war eine sternklare Nacht. Eine warme Brise wehte vom Prater herüber. In den meisten Wohnungen war das Licht schon ausgegangen. Lothar zeigte mit der Geste eines Reiseführers auf das Panorama vor uns. >> Was siehst du, wenn du hier hinausschaust? << >> Ich sehe Wien. << >> Was noch? << >> Wenn ich mich ein Stück hinauslehne, das Riesenrad. << >> Niemand lehnt sich freiwillig hinaus, um das Ding zu sehen. Ich meine, was siehst du allgemein? << >> Den Westen. Eine Welt, auf die ich schon neugierig war, als ich noch zur Schule ging. << Er tätschelte mir die Schulter. >> Und das ist das, was mir so an euch Ostlern gefällt. Ihr würdet sogar auf einer Müllhalde Juwelen finden. Ich sehe nämlich nichts >Außergewöhnliches<, verstehst du? Für mich ist das alles nur ein See voller Fischer, die armen Lachen nachjagen, um sie dann an die große Fabrik zu liefern. <<

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Quote An diesem Abend sah die polnische Kirchenmauer wie verlassen aus. Das Tor war geschlossen, und nirgendwo, nicht einmal in der Sakristei, brannte Licht. Der Pfarrer war offenbar ausgegangen. Ich lehnte mich an die Kirchenmauer und wartete.

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